patricianossol
Wir schreiben das Jahr 1934 als in einem kleinen Eifeldorf ein Junge geboren wird, der keinen Namen hat. Kurz vor seiner Geburt stirbt der Vater. Die Mutter muss sich mit sechs Kindern allein durchbringen. Da ihr Mann als Regimegegner bekannt war, verwehrt man ihr die Rente. Trotz finanzieller Not verbringt der kleine namenlose Junge zunächst seine ersten Jahre in ländlicher Idylle. Doch mit dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs kommt der Schrecken und offenbart Furchtbares direkt vor seinen Augen. Die nächtlichen Bombardierungen zwingen die Menschen sich in Schutzräume zu begeben. Bald liegt alles in Schutt und Asche. Mittendrin der kleine Junge, der grauenvolle Bilder verarbeiten muss. Sie schockieren mich als Leser zutiefst und wecken Erinnerungen an meine Großeltern, die diese Zeit erlebt, aber nur wenig darüber berichtet haben. Das gebundene Buch ist hochwertig verarbeitet mit Schutzumschlag und Lesebändchen. Im Mittelteil des Buches ist eine kleine Fotodokumentation. „Der Hütejunge“ ist ein außergewöhnlicher Roman, nicht ganz einfach zu lesen. Ulrike Blatter hat einen bildgewaltigen literarischen Schreibstil. Ihr Ausdruck wirkt gelegentlich altertümlich, wie ich es von historischen Romanen kenne. Mir gefällt diese Art zu schreiben. Die Autorin erzählt überwiegend aus der neutralen Perspektive. Damit ist der Roman eher sachbuchartig geschrieben. Sie gewährt interessante Einblicke in die Psyche eines Kindes. Es beeindruckt mich, wie der Junge seine Welt um sich herum wahrnimmt. „Oft meinte er die Anwesenheit der Einsamkeit körperlich zu spüren.“ (Auszug aus dem Buch) Mit einer kindlichen Unbekümmertheit betrachtet er das Kriegstreiben. Flugzeuge faszinieren ihn. Während er stolz Kühe hütet, träumt er davon Soldat zu werden. Das Gelesene berührt mich und lässt mich nachdenklich zurück. Es bleibt der Wunsch nach einem friedvollen Miteinander. Ein bewegendes Stück Zeitgeschichte mit psychologischem Tiefgang, anspruchsvoll aufgearbeitet und literarisch erzählt.