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Buchdoktor

Posted on 8.2.2021

Emma Davis ist Malerin und malt seit Wochen nur ein Thema, ihre Waldserie von drei Mädchen. Die Figuren verbirgt sie in den Bildern, als wollte sie sie schützen und so am Leben erhalten. Nathalie, Vivian und Allison verbrachten vor 15 Jahren gemeinsam mit Emma ihre Ferien im feudalen Camp Nightingale für Töchter einflussreicher Familien aus Manhattan. Eines Morgens wachte Emma allein in ihrer Hütte auf; die drei anderen Mädchen waren verschwunden und wurden nie gefunden. Emma hat damals jemanden beschuldigt, der Täter zu sein, und ihre Aussage nie zurückgenommen. In diesem Sommer nun soll Emma im Camp als Mitarbeiterin einen Kunstkurs anbieten. Nach 15 Jahren Leerstand will Franny Harrris-White das Sommercamp wieder zum Leben erwecken und vermutlich auch den angeknacksten Rufs einer Einrichtung verbessern, in der damals drei Jugendliche spurlos verschwanden. Das Ferienlager für 75 Teilnehmer liegt idyllisch auf dem Privatgrundstück der Harris-Whites. Frannys Urgroßvater hatte nach dem Landkauf kritisiert, dass Gott auf seinem Grund und Boden keinen See geschaffen hätte und spielte selbst Gott, indem er ein Tal und ein ganzes Dorf fluten ließ. Bis heute hat sich die Legende gehalten, dass unter dem See nicht nur das Dorf, sondern auch seine Bewohner begraben liegen. Auch ohne das Raunen darüber, dass man beim Schwimmen vielleicht über Tote gleitet, kann ich mir das Camp aus der Sicht verwöhnter Stadtkinder sehr unheimlich vorstellen. Einfache Hütten ohne Strom, nachts mit der Taschenlampe durch den Wald zum Klo marschieren, Mücken, Giftsumach und was die Natur sonst noch an Gemeinheiten bereithält … Was hat sich Franny nur dabei gedacht, ausgerechnet Emma als Mitarbeiterin einzustellen und ihr auch noch die Hütte zuzuweisen, die Emma damals mit den vermissten Mädchen teilte? Emma wirkte auf mich nicht gerade als zuverlässige Chronistin. Auch wenn die Rückblenden im Buch exakt gekennzeichnet sind, hatte ich den Eindruck, dass Emma zwischen Alpträumen und Realität und zwischen Gegenwart und Vergangenheit nicht immer unterscheidet. Wie damals spielt sie auch in der Gegenwart mit ihren jugendlichen Mitbewohnerinnen „2 Wahrheiten + 1 Lüge“, das in Emmas Jugend im Camp ausufernd gespielt wurde. Die Frage nach Wahrheit und Lüge war für mich eine weiteres Stilmittel, mit dem Riley Sager seinen Lesern eine Gänsehaut verschafft. Nachdem Emma durch Vivians Tagebuch auf eine konkrete Spur gelenkt wurde, eskalieren die Dinge im Camp, als wieder drei Teilnehmerinnen verschwinden – Emmas drei Mitbewohnerinnen. Du musst wie im Märchen die Brotkrumen immer eine Spur auslegen, damit du deinen Weg zurückfindest, hatte Vivian damals Emma eingeschärft. Genau das tut hier der Autor, indem er zahleiche Spuren auslegt, warum vor 15 Jahren drei Jugendliche am Lake Midnight verschwanden. Wer oder was war Auslöser dafür - das Gelände und seine Vergangenheit, ein bestimmter Täter oder könnte die Ursache in Emmas schwieriger Persönlichkeit liegen? Die unheimliche Atmosphäre im sehr gut getroffenen Lageralltag und die raffinierte Verschachtelung zahlreicher Spuren haben mich konstant an das Buch gefesselt, auch wenn ich nicht gerade Thriller-Elemente darin entdecken konnte.

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