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Buchdoktor

Posted on 6.2.2021

Der junge Icherzähler sucht Zuflucht im Coffee House von Bangalore, wo der sehr gutaussehende, sehr diskrete Kellner Vincent seine Gäste in persönlichen Krisen mit Allerwelts-Weisheiten auffängt. Man könnte es so sehen, dass Vincent Schicksal gespielt und indirekt die Ehe des Erzählers gestiftet hat. Sein Vater hatte kurz vor dem Rentenalter seine Stelle als Vertreter für Tee verloren, wie alle seine Kollegen. Mutig investiert der Vater seinen Rentenfonds in den Gewürzhandel seines jüngeren Bruders Venkatachala, der alsbald einen märchenhaften Erfolg der Firma zu verzeichnen hat. Da der Onkel damit zum Haushaltsvorstand aufsteigt, wird er von vorn bis hinten bedient; denn niemand hat Interesse daran, ihn an eine mögliche Ehefrau zu verlieren. Und welche Frau würde einen Mann samt Familie seines älteren Bruders heiraten wollen. Schließlich hat dieser Bruder das Studium des Jüngeren finanziert und damit das Fundament zum heutigen Wohlstand gelegt. Die Familie hat bisher in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Der Erzähler, seine ältere Schwester, die Eltern und der Onkel teilten sich ein winziges 4-Zimmer-Häuschen. Der wirtschaftliche Aufstieg bringt nicht nur ein größeres Haus und einen Gaskocher, sondern würfelt das Familiengefüge komplett durcheinander. „Nicht wir kontrollierten das Geld, sondern das Geld kontrollierte uns.“ Die klare Ordnung von früher mit Alleinverdiener, unverheiratetem Onkel, Hausfrau und heranwachsenden Kindern wird abgelöst vom Onkel als Chef und Haushaltsvorstand. Für Vater und Sohn gibt es in der Firma keine Aufgabe und – wie sollte es anders sein - entbrennt ein Krieg zwischen den Frauen des Clans um die Lufthoheit über die Küche, als der Erzähler eine arrangierte Ehe eingeht. Seine Frau Anita arbeitet ehrenamtlich für eine Frauenrechts-Organisation und stammt aus einer Familie, in der alle sagen, was sie denken. Diese unangenehme Tatsache hat die Heiratsvermittlerin den Eltern offenbar verschwiegen. … Die vertrackte Situation einer Familie, die mehr Geld zur Verfügung hat, als gut für den häuslichen Frieden ist, erzählt Vivek Shanbhag so liebevoll, dass ich am Ende seiner kurzen Erzählung enttäuscht war, nicht noch 400 Seiten über seine Figuren lesen zu können. Ein tolles Buch, das durch die Allgemeingültigkeit der Ereignisse sicher in vielen Kulturen verstanden und gemocht werden wird.

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