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seehase1977

Posted on 3.2.2021

3,5 Sterne Schrecken einer Kindheit – erschütternd und verwirrend In seiner Kindheit ist Frank der Wut und der Unberechenbarkeit seiner Mutter hilflos ausgeliefert. Schläge gehören für den Jungen zum Alltag. Sie kommen, immer wieder. Frank ist das Ventil für Marias Wut. Egal, was sie wütend macht, der Junge muss es büßen. Oft kommen die Attacken ohne Vorwarnung und doch erträgt Frank die Schläge und Schikanen nach außen hin tapfer, so lange bis ein Streit eskaliert und er aus dem Fenster springt. Er kehrt nie wieder nach Hause zurück. Aber die Erinnerungen an seine Kindheit und die Wut seiner Mutter nimmt er mit… Meine Meinung: „Wut“ von Harald Martenstein erzählt die Lebensgeschichte von Frank, der schon seit früher Kindheit die Wutausbrüche und Schläge seiner Mutter ertragen muss. Eine Story, die sowohl das Leben der Mutter, als auch die traumatischen Erlebnisse des Jungen schildert, eine Story, die stark anfängt, dann aber zusehends verwirrender und undurchsichtiger wird und mich etwas ratlos zurücklässt. „Manchmal spuckt sie mich an, aus kurzer Distanz. Das macht mir mehr aus als die Schläge. Weil sie das mitbekommen hat, tut sie es erst recht.“ Marias Wut ist groß und oft unvorhersehbar. Regelmäßig verprügelt sie ihren Sohn, bis sich ihre Wut und ihre Unzufriedenheit entladen hat, sie schlägt, bis ihre Arme müde werden, sie beschimpft, beleidigt, erniedrigt, spuckt. „Komm raus, Drecksau, verkriech dich nicht, du Stück Scheiße.“ Doch Maria hat selbst mit ihren Dämonen zu kämpfen. Als alleinerziehende Mutter hat sie das Gefühl, dass ihr Sohn ihr bezüglich ihrer eigenen Träume und Wünsche im Weg steht. Und dann ist da auch noch ihre Vergangenheit, der Krieg und die Zeit danach, in der Maria in dem Bordell ihrer Tante aufwuchs. Bis dahin erzählt Martenstein eine eindringliche und realistische, aber erschütternde Geschichte. Die detaillierten Beschreibungen der Gewaltausbrüche Marias und die Schläge und Erniedrigungen ihrem Sohn gegenüber, sind nur schwer zu ertragen. Wie kann man seinem Kind so etwas antun? Probleme habe ich mit den Erzählungen aus Franks Erwachsenendasein. Natürlich kann er die Schrecken seiner Kindheit nicht vergessen, die äußerlichen Wunden sind verheilt, die Inneren nicht. Er kann vielleicht verzeihen, jedoch niemals vergessen. Doch ab hier wird die Story irgendwie konfus, verworren, als würde sie zwischen Realität und Fiktion hin- und herspringen. Ich verliere stellenweise die Orientierung und kann Frank und seinen Ausführungen nur noch schwer folgen. Mein Fazit: Verzeihen ist möglich, Vergessen jedoch sehr sehr schwer. Ein eindringlicher und erschütternder Roman, dessen Geschichte stellenweise schwer zu ertragen und der nach meinem Empfinden im letzten Drittel unglaublich nachlässt und mich etwas ratlos zurücklässt. Schade, denn bis dahin fand ich die Story als sehr nachvollziehbar und realistisch. Schwer also, für diesen Roman eine Leseempfehlung auszusprechen, am besten, jeder, dessen Interesse ich geweckt habe, bildet sich seine eigene Meinung. Auf jeden Fall ist "Wut" ein Buch, das nachwirkt.

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