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Lesen macht glücklich

Posted on 3.2.2021

Eigentlich müsste man das Buch mit den Stempel verkaufen “Zwei Geschichten zum Preis von Einer“, denn Karosh Taha hat in „Im Bauch der Königin“ ein und dieselbe Ausgangslage mit zwei verschiedenen Blickwinkeln variiert. In beiden Geschichten tauchen zwar dieselben Figuren auf, aber die Autorin spielt da mit der Erwartungshaltung ihrer Leserschaft. Ich hatte zum Beispiel die Vermutung, dass die zweite Geschichte zeitlich von der ersten getrennt ist. Bei nochmaligem Überblättern beider Geschichten konnte ich diese Vermutung gleich wieder in den Schrank packen. Es sind zwei Geschichten, die zur selben Zeit spielen und dabei die Figurenkonstellationen komplett anders. Nur eine bleibt gleich, die Königin des Viertels. Von allen misstrauisch beäugt, ist sie die Einzige, die ihr Leben frei lebt, ohne Zwänge und ohne Gedanken an Rückkehr. Denn wir befinden uns in einer kurdischen Gemeinschaft in einer deutschen Stadt mit der Nähe zu Frankfurt. Das Leben spielt sich da ganz traditionell ab, dass die Männer arbeiten gehen, die Frauen zu Hause zu kochen haben und die Kinder versuchen sich integrieren, während die Eltern schon der Gedanke an Rückkehr in ihre Heimat plagt. Festgefahrene Strukturen im kurdischen Viertel Alles spielt in einem Viertel, in dem sich vornehmlich eine kurdische Gemeinschaft gebildet hat. Viele sind aus ihrer Heimat geflüchtet, um sich in Deutschland ein besseres Leben aufzubauen. Doch die vielen Versprechen, die dieses Land gegeben hat, wurden nicht eingelöst. Da sind Architekten und Ingenieure, die nur noch einfache, handwerkliche Tätigkeiten ausführen dürfen, deren Ausbildung in Deutschland nichts mehr wert sein soll, die dann nochmal die Schulbank drücken sollen und dort an der Sprachbarriere scheitern. Da sind die Ehefrauen dieser Männer, die sich zu Hause eingerichtet haben, versuchen über das Essen, die Einrichtung der Wohnung und gewisse tägliche Rituale ein wenig Heimatgefühl zu erzeugen. Und dann sind da noch die Kinder, die meisten in Deutschland geboren und aufgewachsen, mit dem Versuch, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Sie sind quasi das Bindeglied zwischen Heimat und dem Land, in welches man sich geflüchtet hat. In dieser Gemengelage lernen wir die junge Frau Amal kennen, deren Vater die Familie verlassen hat und zurück in die Heimat ging, um dort seiner Tätigkeit als Architekt nachzugehen. Amal vermisst ihren Vater, der einfach so von heute auf morgen verschwand. Sie will ihn besuchen und denkt immer wieder darüber nach, was er ihr alles versprochen hat. Wie nebenbei bekommen wir dabei einen Blick in das Leben in diese kurdische Gemeinschaft, in die Gebräuche und Sitten und wie sich vor allem die in Deutschland geborenen Kinder entweder gegen ihre Eltern auflehnen. Als Amal nach ihrem Abschluss endlich die Gelegenheit erfährt, ihren Vater zu besuchen, ist das böse Erwachen irgendwie vorprogrammiert. Auf einmal ein Bruch, ein neues Buch, nochmal das Cover, ein weiteres Impressum (zumindest beim ebook, ich glaube, beim gedruckten Buch ist es als Wendebuch umgesetzt) und es wird eine weitere Geschichte erzählt, die ebenfalls in diesem kurdischen Viertel spielt, mit denselben Figuren, jedoch aus dem Blickwinkel von Raffiq erzählt, der in der Geschichte um Amal nur am Rande als echtes Ekelpaket auftauchte. Und auf einmal wirkt alles wie durch eine Milchglasscheibe gespiegelt. Alle Figuren, die wir bisher zu kennen glaubten, agieren auf einmal anders, sind anders charakterisiert – auch Raffiq. Es gibt Überschneidungen und auch Zusammenhänge, so dass man sich die ganze Zeit fragt, ist das nun eine Fortsetzung der Erzählung aus dem ersten Abschnitt oder eine gänzlich andere, nur die Figuren sind dieselben? Anhand von zeitlichen Ereignissen kann man sich zwar Orientierung verschaffen, aber eine richtige Einordnung ist während des kompletten zweiten Abschnitts meines Erachtens nach trotz allem schwer möglich, was sicher von der Autorin so gewollt ist. Bei allem Widerspruch und Differenz zwischen den zwei Abschnitten gibt es doch eine Figur, die Konstanz mit sich bringt, die in allen beiden „Büchern“ gleich bleibt. Shahira ist die Königin des Viertels, von allen anderen Frauen gehasst und von allen Männern verehrt beziehungsweise angehimmelt. Sie ist die Mutter von Younes und sie ist irgendwie immer Dreh- und Angelpunkt, sowohl für Raffiq als auch für Amal. Alle leben in ihren Zwängen und in ihren kleinen Gefängnissen, was sich Asyl nennt. Shahira dagegen ist im Gegensatz dazu die einzige Person im Viertel, die sich ihre Freiheiten nimmt und damit vermeintlich am besten mit diesem Leben umgehen kann. Heimatlosigkeit und Fremdheit Flucht und Vertreibung und Heimatgefühl sind Dinge, die ich mir nur im entferntesten vorstellen kann. Den letzten Punkt kann ich vielleicht bei mir als Allerweltsproblem annehmen, da ich meine Heimat ebenfall verlassen habe. Dies habe ich jedoch aus freien Stücken getan und hatte keine wirtschaftliche oder leibhaftige Not dies zu tun. Die Menschen, allen voran die Erwachsenen, die Karosh Taha in ihrem Buch beschreibt, hatten diese Zwänge aber und sind deswegen nach Deutschland geflohen, da sie sich hier eine bessere Zukunft erhofften. Die Autorin beschreibt dabei einen in sich geschlossenen Kosmos, aus dem es anscheinend kein Entrinnen gibt. Alle sind darin gefangen und einen Ausweg scheint es nicht zu geben, selbst für die Kinder nicht. Vor allem für die Kinder nicht. Sie haben Hoffnungen, sehnen sich nach etwas Halt, die vor allem Younes und Amal in ihren Vätern suchen, die schon vor langer Zeit abgehauen sind. Einer zurück in die Heimat, der andere nach Frankfurt. Auch dies ist ein verbindendes Element beider Geschichten. Doch sie bekommen keinen Halt und müssen mit ihrem Zwiespalt, Geflüchtete und Deutsche zugleich zu sein, alleine klar kommen. Der eine Vater hat sich in der alten Heimat ein neues Leben aufgebaut und verdrängt so seine alte Familie, was die Tochter schmerzhaft erfahren muss. Der Sohn flieht vor seiner Mutter zum Vater nach Frankfurt, um dem Leben mit der Mutter zu entkommen, die im Viertel die mit den meisten Freiheiten, aber auch die große Außenseiterin ist. Neben diesen sehr spannenden Ansätzen, die man für sich gut im Kopf weiter spinnen und denken kann, schreibt Karosh Taha diese Geschichte in den schon erwähnten zwei Versionen, um der Ausweglosigkeit richtig in seine hässliche Fratze zu blicken. Alle Figuren kommen in beiden Geschichten vor, werden aber jeweils anders charakterisiert, wenn man so will, gespiegelt dargestellt. Während zum Beispiel Amal in der ersten Geschichte zu einem Mädchen gemacht wird, welches viel lieber mit den Jungs spielt, sich dreckig machen will und an dem ganzen Mädchenkram kein Interesse hat (das „Mogli-Mädchen“), so wird sie in der anderen Geschichte zum genauen Gegenteil dessen und was sie so im ersten Buch verachtet. So ähnlich läuft das auch mit Raffiq, der im zweiten Abschnitt im Zentrum steht und dort dann der Freund von Amal ist (im ersten waren sich beide spinnefeind). Dieser Kunstgriff, die Geschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven ablaufen zu lassen und dabei auch die Figuren anders zu charakterisieren, hätte mich bei vielen Büchern sicher nicht so angefixt, vielleicht sogar geärgert. Hier allerdings macht es vollkommen Sinn, wenn man im Hinterkopf behält, was die Autorin damit vermeintlich bezwecken möchte. Sie zeigt damit vor allem eine Art Ausweglosigkeit, die solche Auswandererviertel charakterisieren. Keine Möglichkeit aus diesem Teufelskreis zu entkommen und sich in Deutschland ein besseres Leben aufzubauen. Eine gläserne Wand exisitiert, die es selbst den Kindern der Auswanderer schwer macht, Fuß in Deutschland zu fassen. Es macht einen beim Lesen fassungslos, wie diese Menschen behandelt und ausgebeutet werden, obwohl sie auch gute Abschlüsse und Ausbildungen haben, was vor allem die Flucht von Amals Vater zurück in die Heimat in ein anderes Licht rückt. Das alles beschreibt Karosh Tara in einer unaufgeregten Sprache, fast zart, hängt nichts an die große Glocke, gibt vielmehr die interessierte Beobachterin der Szenerie und beschreibt in nüchternem Ton ihr Anliegen. Dieses Buch brauchte bei mir eine Weile, bis es reifte. Direkt nachdem ich es abgeschlossen hatte, war mir kein Zugang gegeben, um Worte für diesen Roman zu finden. Das hat einige Wochen gedauert und eine Beschäftigung mit diesem Stoff gebraucht, der mich letztendlich nicht loslassen wollte. Wenn ich nicht so wenig gelesen hätte in diesem Frühjahr, um Vergleiche anstellen zu können, hätte ich gesagt, dass dieses Buch ein Kandidat für die Nominierung zum Deutschen Buchpreis wäre. Mal schauen, ob das Buch zu den Zwanzig gehören wird, die eine Chance auf diesen Preis haben.

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