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Buchdoktor

Posted on 3.2.2021

Die Sandells aus dem schwedischen Lund scheinen eine harmonische Familie wie aus dem Bilderbuch zu sein. Adam arbeitet als Pfarrer und seine Frau Ulrika als Strafverteidigerin. Doch schon als sie mit ihrer Tochter Stella deren 19. Geburtstag feiern, bricht die Idylle auf. Statt Reisegeld für eine Asienreise, das Stella sich sehnlich zum Geburtstag gewünscht hat, bekommt sie eine Vespa, über die sie sich beim besten Willen nicht freuen kann. Drei Icherzähler erzählen nacheinander und in Rückblenden, wie es dazu kam, dass kurz nach der Geburtstagsfeier der Mann ums Leben kommt, zu dem Stella eine Beziehung hat. Da Stella für die Tatzeit kein Alibi vorweisen kann, wird für sie Untersuchungshaft angeordnet, bis zu den Tatortspuren Laborergebnisse vorliegen. Ebenso lange ist man als Leser auf den begrenzten Wissensstand dieser drei Icherzähler beschränkt. Stella war schon immer ein Papakind; ihre Mutter war häufig beruflich unterwegs. Bereits im Kindergarten fällt Stellas mangelnde Impulskontrolle auf; mit 15 lässt sie keine Gelegenheit aus, ihre Eltern zu provozieren. Dass sie in Notwehr oder Wut einen Menschen töten kann, scheint nicht abwegig. Einzig ihre Freundin Amina scheint bisher einen mäßigenden Einfluss auf Stella zu haben. Die Mädels spielten seit frühester Kindheit in einer Handballmannschaft, die die beiden Väter trainieren. Adam Sandells Bericht ist durchzogen von Enttäuschung und Reue darüber, dass in Stellas Leben einiges schief gelaufen ist und die Sandells nicht die perfekten Eltern waren, die sie vermutlich gern sein wollten. Adam legt sehr viel Wert darauf, was andere Menschen über ihn und seine Familie denken. Er verfolgt daher sein Ziel, Stella zu entlasten, völlig unbeeindruckt davon, zu welchen Ermittlungs-Ergebnissen die Polizei kommen könnte. Für Stella war es sicher nicht einfach, den hohen moralischen Ansprüchen eines Pfarrers zu genügen. Ihre eigene Darstellung weckt zunehmend Zweifel am Bild, das Adam bisher von seiner Tochter und seiner Familie zeichnete. Zu leicht durchschaubar wirkt anfangs sein Motiv, um jeden Preis das Ansehen seiner Angehörigen reinzuwaschen. Viel interessanter scheint dagegen die Persönlichkeit des ermordeten Chris zu sein, die Frage, welche Rolle Amina in der Sache spielt – und was die Anwältin in der Familie zu sagen hat. Zweifel gibt es nicht nur an Adam, sondern auch an der einzigen Zeugin, die das Mordopfer zuletzt sah und am Opfer selbst, einem wohlhabenden Geschäftsmann, der über 10 Jahre älter war als Stella. Ulrika, die Anwältin und Mutter der Verdächtigen, kommt erst im dritten Abschnitt zu Wort. Im Fall des ermordeten Chris wird kräftig gelogen. Lügner müssten stets damit rechnen, dass sie selbst belogen oder von anderen durchschaut werden. Die Frage, wer hier lügt, sorgt in dem - unschuldig als „Roman“ bezeichneten - raffinierten Psychogramm einer Familie für Spannung. Ich blättere in Büchern sehr selten zu den letzten Seiten, um zu erfahren, wie es wirklich gewesen ist – hier fiel es mir sehr schwer, der Versuchung zu widerstehen.

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