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Buchdoktor

Posted on 2.2.2021

Thorsten Nagelschmidt arbeitet an seinem Roman über Kuba, doch seine Gedanken wandern fast 20 Jahre zurück in seine punkige WG-Zeit in Rheine. Aus Tagebüchern, Briefen und Gesprächen setzt sich schließlich das leicht chaotische Puzzle eines Lebens im Jahr 1999 zusammen. Ehe „Nagel“ nicht das Geheimnis löst, warum seine Tagebücher weder seine Erinnerungen abbilden noch die Wirklichkeit, wird das Romanprojekt warten müssen. Die Geschichten, die er 16 Jahre später von seinen Weggenossen hört, decken sich nicht mit Nagels Erinnerungen; die Erinnerung erweist sich als unzuverlässig. Für einen Romanautor ist das allein keine schlechte Ausbeute. Zu einer Zeit, als Telefone noch eine Schnur hatten und VHS-Cassetten Standard waren, lebt Nagelschmidt eine verlängerte Pubertät in zwei verschiedenen WGs. Wofür oder wogegen er genau ist, wurde mir nicht ganz klar. Offenbar hatte die Generation zuvor nichts mehr übrig gelassen, gegen das man 1999 noch sein konnte. Nagel jobbt, um den Führerschien zu finanzieren, ist pro forma an der Uni eingeschrieben, hat die Nabelschnur zu seinem Heimatort jedoch noch immer nicht getrennt. Irgendwie schade, wie jemand durch Bildung aufsteigt und dann die nächste Abzweigung im Leben nicht findet. „Andere haben mit 23 schon Kinder,“ war der entscheidende Satz für mich, mit dem Nagel die Misere auf den Punkt bringt. Andere haben etwas gewollt, es probiert, Fehler gemacht, die Abzweigung gefunden. Nagelschmid erzählt seine Selbstfindung als Fiktion. Klar sind Tagebuchschreiben und die Verlässlichkeit unserer Erinnerungen ein interessantes Thema. Klar ist 1999 rückblickend ein interessantes Jahr, das viele als „das Jahr bevor ...“ in besonderer Erinnerung behalten haben. Für meinen Geschmack erzählt Thorsten Nagelschmidt zu viele Banalitäten aus seiner antiautoritären Schmutz- und Schimmelphase, die die Welt nicht wissen will. Es passiert mir selten, dass ich mich dazu zwingen muss, ein Buch endlich auszulesen.

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