DasIgno
Ich starte ungewohnt. Denn die Inhaltsangabe wird zunächst der Klappentext im Wortlaut. Mein Problem ist, der ist inhaltlich extrem knapp und das Buch funktioniert wahrscheinlich unter anderem deshalb so gut. Allerdings kann ich es auf der Basis nicht rezensieren, ich werde also in der Langfassung gewaltig spoilern. Bitte, wenn ihr das Buch lesen wollt, überspringt die Spoiler. ›Stadt der großen Träume‹ lebt erheblich davon, dass ihr mit einer gewissen Unbedarftheit dran geht. Disclaimer: Weil der Roman so sehr von dieser Unbedarftheit lebt, veröffentliche ich auf den Plattformen lediglich die spoilerreduzierte Variante meiner Rezension. Vollständig findet ihr sie auf meinem Blog (https://dasigno.de/2021/02/stadt-der-grossen-traeume/). In Björnstadt halten die Menschen zusammen. Ihre Devise ist: hart arbeiten, nicht beschweren und dem Rest der Welt zeigen, woher wir kommen. Das Leben hier war noch nie leicht, aber nun steht die Zukunft auf dem Spiel. Alle Hoffnungen liegen auf den Schultern ein paar junger Björnstädter. Noch ahnt keiner, dass sich ihre Gemeinschaft über Nacht für immer verändern wird. So viel zum Klappentext. Man ahnt es schon, das kann alles sein. Und tatsächlich hatte ich, aus der Erfahrung mit Backmans früheren Romanen, auch etwas ganz anderes erwartet. Trotzdem, ich bin nicht enttäuscht, denn sein besonderer Stil, der mich in der Vergangenheit so sehr in seine Geschichten hineingezogen hat, der fehlt auch in ›Stadt der großen Träume‹ nicht. Backman gibt sich sehr viel Mühe, ein literarisches Soziogramm von Björnstadt zu zeichnen – tatsächlich besteht fast die komplette erste Hälfte des Buches aus nichts anderem. Zusammen mit seiner Art, Figuren und Szenen zu beschreiben, zieht er seine Lesenden damit tief hinein in dieses Björnstadt. Backman baut über einen lange Zeitraum eine Idylle des Alltäglichen auf, aus Gegenwärtigem und seinen Bezügen zur Vergangenheit, ohne dabei zu verklären. Mit Ecken, Kanten und allerlei eher unschönen Kerben. Und erinnert doch beständig daran, dass er diese Idylle einreißen wird. Besonders dieser Teil der Geschichte lebt von der Angst, dass es sie zu schlimm treffen könnte, dass sie daran zerbricht. Das macht er wirklich gut. Er hat zahlreiche Figuren, fast alle haben ihre guten und ziemlich schlechten Seiten, und er zieht uns so beiläufig und tief in deren Leben, dass es schwer fällt, einzelne Figuren als böse zu akzeptieren, wenn sie tatsächlich fraglos böse handeln. ›Stadt der großen Träume‹ demonstriert, dass Menschen fast immer zwei Seiten haben und wie der Mechanismus vom netten Täter von nebenan funktioniert – in einem ab einem gewissen Punkt ziemlich schmerzhaften Selbstexperiment. Das alles findet letztendlich im zentralen Kontext des lokalen Eishockeyclubs statt. Björnstadt hat nicht viel, mit dem sich seine Bewohner:innen identifizieren können, so konzentriert sich aller Stolz auf den Club und aktuell besonders seine Jugendmannschaft, denn die ist im Begriff, gegen alle Wahrscheinlichkeiten nach vielen Jahren der Mittelmäßigkeit wieder einmal die beste Schwedens zu werden. Für Björnstadt bedeutet das nicht alleine sportlichen Erfolg, sondern es hängen ganz konkrete wirtschaftliche Belange an diesem Erfolg. Ganz Björnstadt fiebert mit dem Team und wer es angreift, greift jede:n Björnstädter:in persönlich an. Womit wir bei Content-Warnungen wären. Ich teile das hier wieder in einen spoilerfreien und einen spoilernden Teil auf meinem Blog, weil auch die Content Warnungen mehr über den Inhalt verraten, als man eventuell wissen sollte. Allerdings kann ›Stadt der großen Träume‹ definitiv in vielerlei Hinsicht schwer triggern, wenn man vorbelastet ist. Der Roman ist alles andere als leichte Kost. Falls ihr Themen habt, bei denen ihr vorsichtig sein müsst, guckt in den Spoiler. Falls nicht, geht das Buch ohne ihn an. Ich kann’s nicht oft genug betonen, eine gewisse Unbedarftheit braucht das Buch. ›Stadt der großen Träume‹ ist ein Roman, der mitreißt – in jeder Hinsicht. Er spielt ein nicht immer faires Spiel mit den Lesenden und das macht er wirklich gut. Und, was vielleicht gleichzeitig am schlimmsten und am besten ist, die Geschichte endet nicht an dieser Stelle, denn mit ›Wir gegen euch‹ gibt es einen zweiten Teil. Trotz der Fülle an Content-Warnungen definitiv eine Empfehlung, allein schon weil man so einiges über sich lernen kann. Denn sieht man mal davon ab, dass es wirklich sehr hart ist, ist es ein verflucht guter Roman.