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Bris Buchstoff

Posted on 31.1.2021

Es ist Sommer und es ist heiß. Viel zu heiß für London. Die Aufgaben im Slough House haben sich auch trotz der letzten Verwicklungen mit Dead Lions, russischen Schläfern, nicht verändert. Jackson Lamb ist ungehobelt, anmaßend und gelinde gesagt in seinem Verhalten unangenehm, doch was man auch über den Chef der aussortierten Agenten sagen mag, eines ist sicher: Er fühlt sich seinen Agenten gegenüber verantwortlich, auch wenn er immer so tut, als sähe er sie nicht als solche. Dafür ist Catherine Standish Anwesenheit sicherlich von Wichtigkeit. Und als sie eines Morgens nicht wie immer pünktlich und ein wenig zwangsneurotisch korrekt in Slough House erscheint, ist klar, Lamb wird sie suchen (lassen) und auch finden. Denn was er so gar nicht ausstehen kann ist, Agenten zu verlieren. "An einem höllisch heißen Abend öffnet sich im Bezirk Finsbury eine Tür, und eine Frau tritt hinaus in einen Hof. Nicht vorne auf die Straße – sie verlässt Slough House, und die Haustür von Slough House öffnet und schließt sich bekanntermaßen nie. – sondern in einen Hof, in den nur selten Sonnenlicht fällt und dessen Wände folglich von einer weichen Schimmelschickt bedeckt sind. […] Noch herrscht nicht völlige Dunkelheit – es ist die blaue Stunde – , aber im Hof scheint die Nacht bereits angebrochen zu sein. Die Frau hält nicht inne. Es gibt nichts zu sehen." Mick Herron glänzt auch im dritten Band seiner Reihe um die ausrangierten Agenten des MI5 durch herausragendes Sprachgefühl, Sarkasmus, Ideenreichtum und Witz. Manch eine großartig beschriebene Situation, die leicht ins kitschige abgleiten hätte können, wird durch einen kurzen Satz wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht. Dabei schafft er es mühelos, aktuelle globale Probleme wie die Klimakrise als Hintergrund für seine zwar ausgedachten, aber doch sehr denkbaren Agentenstories zu nutzen. Auch seine Figuren bekommen von Band zu Band immer mehr Kontur und Tiefe. River Cartwright begibt sich Tag für Tag auf die Intensivstation eines Krankenhauses, um jemanden zu besuchen, der es eigentlich nicht verdient hat, Louisa steckt in tiefer Trauer, Catherine Standish muss standhaft gegen ihre Sucht ankämpfen, Roderick Ho schwingt sich zu realer Aktion – wenn auch gezwungenermaßen – auf und die zwei Neuen, Marcus und Shirley, sind kaum in Slough House aufgenommen, eigentlich schon wieder gefeuert und über allem schwebt, naja, eher fläzt Jackson Lamb in gewohnter Manier. Nicht alle sind sympathisch, insgesamt ist es ein bunt gemischter Haufen, der da zusammen auf was auch immer wartend in Slough House seine Tage fristet. Dass im Agentengeschäft vieles im Schatten passiert, die meisten Menschen ein oder mehrere Geheimnisse haben und Jackson Lamb viel mehr von all dem weiß, als er preisgibt, gleichzeitig aber gewisse Machenschaften nicht durchgehen lassen will, gibt der ganzen Reihe einen Schub und lässt mich Band vier sehnlichst erwarten. Denn kaum ein Autor von intelligent gestrickten Agententhrillern weiß so gut wie Herron, wie man einen Spannungsbogen aufbaut, ihn hält und eine runde Geschichte erzählt, dessen Ende ins Schwarze trifft. Der Showdown lässt Schlimmes erahnen, aber ohne vorgreifen oder spoilern zu wollen, kann ich sagen: Ich habe das Buch mit einem zufriedenen und etwas boshaften Lachen beendet. Denn Jackson Lamb sollte man niemals unterschätzen – auch wenn es häufig nicht so aussieht, er weiß immer was er zu tun hat. Was er in Real Tigers lostritt, wird nicht unbemerkt bleiben und lässt auf viele weitere, spannende Fortsetzungen der Reihe hoffen. Wer die Reihe noch nicht kennt, sollte diese Lücke schleunigst schließen. Slow Horses (Band I) und Dead Lions (Band II) sind ebenfalls auf www.feinerreinerbuchstoff.blog zu finden.

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