Anna
Das ist es nun also, mein erstes Buch von Anne Freytag: Das Gegenteil von Hasen. Ich habe es gerade eben beendet und seltsamerweise war das erste, das ich getan habe, nach Rezensionen zu dem Buch zu suchen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie andere Leser:innen über dieses Buch denken. Hätte man mich ziemlich genau 50 Seiten vor dem Ende des Buches gefragt, was ich davon halte, wäre ich begeistert gewesen. Jetzt, nachdem ich es beendet habe, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr so wirklich, was ich denken soll. Ich finde es unglaublich schwierig, auf kompakte Art und Weise zu sagen, was ich von „Das Gegenteil von Hasen“ halte, denn in meinem Kopf befinden sich gerade unglaublich viele gedankliche Bruchstücke, die ich kaum zu einem einzigen Bild zusammengesetzt bekomme. Ich fand das Buch gut, eigentlich sogar richtig gut. Nachdem ich die ersten etwa 100 Seiten gebraucht habe, um in die Handlung herein zu finden, konnte ich es kaum noch aus der Hand legen. Die große Anzahl von Charakteren und Erzählern fand ich zunächst anstrengend, aber irgendwann konnte man den Namen Persönlichkeiten zuordnen und die Geschichte wurde dann noch interessanter. Auch das Thema hat mich voll überzeugt: Mobbing. Die Geschichte, die da Buch erzählt, wirkt, als wäre sie unmittelbar aus dem Leben gegriffen. Ich bin selbst Schülerin, ich weiß, wie Mobbing an Schulen aussieht, und denke, dass Anne Freytag das Thema, so sensibel es auch ist, wirklich gut umgesetzt hat. Allerdings gab es Momente, in welchen ich mich gefragt habe, wen das Buch jetzt eigentlich als Mobbingopfer angedacht hat. Klar, das Thema ist allgegenwärtig, es gibt mehrere Figuren, die Mobbing erlebt haben, und dennoch war für mich klar, dass Julia als eines der Opfer im Fokus steht. Dann gab es jedoch immer wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass das Buch sie eigentlich gar nicht als Opfer, sondern in erster Linie als Täter darstellen möchte. Das hat mich verwirrt, das muss ich echt sagen. Es ist so unglaublich viel passiert, dass ich teilweise wirklich Mühe hatte, mitzukommen. Und leider hat die Fülle an Einzelschicksalen und Sichten auch dazu geführt, dass gewisse Dinge zu kurz gekommen sind. Ein Beispiel dazu sind die Einwürfe aus der Sicht von Fr. Dr. Ferchländer. Sie waren extrem gut gemacht und haben auch wirklich gut in den Verlauf der Geschichte gepasst, aber am Ende habe ich mich ernsthaft gefragt: Und jetzt? Was sollte das jetzt? Vieles wurde nur angerissen, aber nie zu Ende geführt. So zum Beispiel auch die Situation zwischen Julia und ihrer Mutter. Wirklich, ich habe Julia voll und ganz in mein Herz geschlossen, für mich war sie einer der besten Charaktere überhaupt in dem Buch, aber ihre Mutter habe ich nicht verstanden. Nein, die Familie hat es ganz sicher nicht leicht und die Mutter arbeitet verdammt hart, um Dinge möglich zu machen, aber dann kommt es mit Julia zur Eskalation und es kommen viele Dinge zum Vorschein, allerdings hört man im restlichen Verlauf des Buches einfach überhaupt nichts mehr von dieser Mutter-Tochter-Beziehung, die eigentlich komplett auf den Kopf gestellt wurde. Was mich im Nachhinein ebenfalls stört, ist, wie die Sache mit Leonard und Julia dann einfach im Sand verläuft. Die beiden sprechen einfach nicht mehr miteinander, von jetzt auf gleich herrscht Funkstille, was ich absolut nicht verstehen kann. Diese Geschichte sorgt insgesamt für wahnsinnig viel Redebedarf zwischen den vielen unterschiedlichen Charakteren, aber wirklich sprechen tut dort niemand. Unfassbar viele tiefgehende Themen werden angerissen, aber nicht weitergeführt, und letztlich steht bei jeder einzelnen Beziehung einfach nur der Sex im Vordergrund. Ernsthaft, was soll das? Egal, was für ein Problem es gibt, in den allermeisten Fällen schweift mindestens die gedankliche, wenn nicht sogar auch die tatsächliche Situation zum Sex ab. Und, ganz ehrlich, das hat mich mehr als nur verwundert. „Das Gegenteil von Hasen“ hat wahnsinnig viel Potential, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, dass kaum etwas davon umgesetzt wurde. Das finde ich wahnsinnig schade! Und dann auch noch das Ende. Dieses Ende… ich weiß nicht, was ich davon sagen soll. Wie bereits erwähnt, bis ich die letzten 50 Seiten gelesen habe, war ich verdammt begeistert gewesen. Und dann kam das Ende und ich habe mich gefragt: Das soll es jetzt ernsthaft gewesen sein? Meiner Meinung nach wirken diese letzten Seiten, als hätte es einmal laut „puff“ gemacht und die vielen Probleme sind einfach verschwunden. Ich finde es absolut nicht verkehrt, dass das Buch ein glückliches und friedvolles Ende nimmt, aber so, wie es jetzt ist, wird es der Geschichte nicht gerecht. Die Geschichte baut so viel Spannung auf und dann – dann fühle ich mich als Leser am Ende ehrlich gesagt ziemlich unzufrieden. Die Auflösung, wer die Beiträge jetzt veröffentlicht hat, finde ich ziemlich platt und nicht wirklich passend zur Geschichte, wie es bei Marlene und Leonard zuhause weitergeht, da steht für mich ein riesiges Fragezeichen, genau wie auch bei Linda und Momo. Julia und ihr Beziehungschaos haben zwar ein meiner Meinung nach richtiges Ende gefunden, allerdings wird auch hier viel zu wenig miteinander gesprochen. Insgesamt habe ich also keine Ahnung, was ich zu dem Buch sagen soll. Ich habe es gerne gelesen, hatte Spaß dabei und habe mit den Charakteren wirklich mitfühlen können. Der Schreibstil von Anne Freytag ist extrem überzeugend und passt super zu der Geschichte. Und doch gibt es am Ende viel zu viele Dinge, die dafür sorgen, dass das Buch keinen wirklich runden Eindruck hinterlässt, was mich wieder an den Anfang meiner Rezension befördert: In meinem Kopf befinden sich bezüglich „Das Gegenteil von Hasen“ gerade unglaublich viele gedankliche Bruchstücke, die ich kaum zu einem einzigen Bild zusammengesetzt bekomme.