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Buchdoktor

Posted on 31.1.2021

Sir Edward Strathairn ist weit über 70 und körperlich hinfällig, als er zu einer letzten Reise nach Japan aufbricht. Edward scheint verblüfft darüber, dass in Japan noch immer Weggefährten von früher leben, auch mit der Verleihung einer Ehrendoktorwürde scheint er nicht gerechnet zu haben. Der Hotelmanager erkennt in ihm den jungen Briten wieder, der in den 50ern in seinem Haus den kontroversen Roman „Das Wasserrad“ schrieb zur Verantwortung der USA für den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Rückblenden zeigen, wie Edward mit seinem Studium der Japanologie Grundlagen schuf für ein Dasein als Pionier, zu einer Zeit, in der andere in Japan zunächst nur den ehemaligen Kriegsgegner sahen. Sein erster Japanaufenthalt dient ihm als Flucht aus der Einsamkeit einer freudlosen Jugend. Eine großzügige Erbschaft seines Onkels ermöglicht ihm schließlich die Arbeit an seinem ersten Roman, mit dem er Japan als Nation die Selbstachtung zurückgibt. In weiteren Rückblenden zeigt sich Edward als kaltschnäuziger Karrierist, der Namen und Biografien anderer Menschen in seinen Romanen verwurstet, ohne sich die Mühe der Verfremdung zu machen. Der Beziehung zu einem Zimmermädchen seines Hotels entzieht Edward sich – wie üblich – durch Flucht. Seine Opfer jedoch können nicht flüchten, sie bleiben ein Leben lang in Strathairns Romanen bloßgestellt. Im „Wasserrad“ hat Edward das kolonialistische Gebaren der USA gegenüber Japan kritisiert. Je näher man Edward kennenlernt, umso stärker tritt sein nicht weniger ausbeuterisches Verhalten gegenüber anderen Menschen hervor, seinen Eltern, seinen Förderern und seinen Frauen. Edwards Partnerinnen drücken ihre Wünsche in den Beziehungen nicht gerade deutlich aus, das entschuldigt sein verantwortungsloses Verhalten allerdings nicht. Trotz klassischer britischer Knabenschule hat Edward keinen Ehrbegriff entwickelt und entzieht sich Konflikten mit simplen Schuldzuweisungen. Edward ist 1928 geboren, nur wenig jünger als die britische Königin Elizabeth. Beide Personen sind vom Krieg geprägt, wenn auch Edward diesen Teil seiner Biografie nicht wahrhaben will. Simons zeichnet in der Person Edwards das raffinierte Psychogramm einer Generation von Männern, die Frauen passend zur Karriere erwählen und wieder fallenlassen, aber keine Partnerschaften entwickeln können. Das 50er Jahre-Feeling; eine Zeit, in der der Begriff Romanautor automatisch bedeutete, dass es sich nur um einen Mann handeln kann, bringt Simons hier treffend zum Ausdruck. Simons komplexer Roman spielt auf mehreren Zeitebenen, in der Gegenwart 2003 in Japan, in den 50ern in London und Japan, ein Rückblick führt in seine Kindheit in Glasgow, enthalten sind Briefe und Ausschnitte aus Edwards erstem Roman. Die Coverabbildung der „großen Welle vor Kanagawa“ weckt Erwartungen an idyllische Landschaftsschilderungen, die Simons meisterlich erfüllt mit der Beschreibung eingeschneiter Gasthäuser und im Wind trocknender Algen. „Ein feines Gespür für Schönheit“ (im Original 2013 erschienen) lässt gegensätzliche Kulturen aufeinander treffen, berührt jedoch besonders durch die Zeitlosigkeit der Konflikte. Im Jahr nach der Entstehung von MeToo und im Jahr des Richters K. scheint Simons damit den Finger mitten in die Wunde der Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu legen.

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