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Buchdoktor

Posted on 30.1.2021

Die Geschichte Laila Raskinen lebt in den 80ern des vorigen Jahrhunderts als Tochter des finnischen Botschafters in Lima/Peru. Da Laila plötzlich unter Sehstörungen und weiteren Beschwerden leidet, ist sie in die neurologische Klinik gebracht worden. Ihrer Mutter ist die einfache Ausstattung der Klinik nicht recht, die Ärzte dort lassen ihre Untersuchungsergebnisse jedoch von Spezialisten beurteilen und wirken vertrauenerweckend. Es gibt wenig Hoffnung für Laila, ihre Krankheit wird schnell fortschreiten und nicht heilbar sein. Auf dem Klinikgelände lebt der Junge El Rato (Juan Pablo), er ist allerdings kein Patient. Ihm und dem hellhäutigen „Grünschnäbelchen“ fällt bei einem Kinderstreich ein Notizbuch aus dem Jahr 1941 in die Hände. 40 Jahre vor Leilas Abenteuer muss ein amerikanischer Neurologe eine Expedition in den peruanischen Urwald unternommen haben, auf der Suche nach einer legendären Heilpflanze. Die Pflanze soll laut Notizbuch von den Indigenen Bewohnern zur Behandlung von „Wahnsinn“, z. B. gegen Epilepsie genutzt worden sein. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs hat man von Dr. Clarke nie wieder etwas gehört. Laila und El Rato wollen gemeinsam die Blüte des Schamanen aufspüren. Leila, weil sie sich Heilung von ihrer Krankheit erhofft und El Gato, weil er Geld für ein Projekt braucht, über das er bisher eisern schweigt. Die Kinder machen sich heimlich auf den Weg nach Cusco und Machu Picchu. Beide sind sich nicht klar darüber, dass sie sich mitten in den Guerilla-Krieg des Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) begeben. Doch die Region der historischen Inkastadt führt sie noch nicht zum Ziel. Sie müssen Verbündete und Informanten gewinnen, gefährliche Situationen bestehen – und Leilas Krankheit verschlimmert sich auf der anstrengenden Tour rapide. El Rato zeigt sich dabei als zuverlässiger Begleiter, der im Gegensatz zu einigen Erwachsenen erkennt und akzeptiert, dass Leila krank ist und seine Hilfe braucht. Weit in der Amazonas-Region können die Kinder zwar die Spur des Schamanen aufnehmen, sie müssen jedoch erkennen, dass es nicht um das Haben geht (die Pflanze finden), sondern um das Sein (sich selbst erkennen und Lailas Krankheit annehmen). Die Reihe/die Buchgestaltung Für sich genommen setzt Davide Morisonotto mit Lailas und El Ratos Abenteuer seine Reihe von historischen Abenteuer-Büchern vor authentischen historischen Ereignissen fort. „Der Ruf des Schamanen“ erzählt jedoch nicht nur ein Abenteuer, sondern vermittelt die Ereignisse auch optisch auf mehreren Ebenen. Das Buch ist gegliedert in drei Abschnitte, die jeweils einem Gott/einer Gottheit/einem Geist zugeordnet sind. Jedes Kapitel wird von einem Icherzähler vermittelt, dem als Vignette eine Tierfigur zugeordnet ist. Laila wird durch eine Fledermaus gekennzeichnet, El Rato durch eine Libelle. So kann man die Person erkennen, noch ehe sie das Wort ergriffen hat. Mit dem Fortschreiten der Geschichte lässt sich darüber rätseln, ob die Eigenschaften des zugeordnete Seelentiers sich als Schwäche oder Stärke des Besitzers zeigen werden. Da ich mir die Vignetten als Orakelsteine vorgestellt habe, war mir die Abbildung besonders wichtig, auf der alle Tiersymbol-Steine gemeinsam zu sehen waren … Wie in der Konkreten Poesie erzählen nicht nur Wörter und Sätze, sondern der Verlauf einzelner Zeilen symbolisiert Bewegungen und Empfindungen, er zieht die Leser förmlich in die Karten und Pläne hinein. Lailas Sehstörungen erfährt man als Leser in aller Dramatik, indem sich das eigene Gesichtsfeld verkleinert und durch das Auftauchen schwarzer Seiten. Kurz vor dem Ende der Geschichte musste ich mich damit auseinandersetzen, ob das Ende für Laila wirklich schwarz sein würde oder in der Schwärze noch eine andere Botschaft verborgen sein könnte. Fazit Das Versprechen einer Liebesgeschichte sollte man besser überlesen und direkt in das spannende historische Abenteuer jugendlicher Helden und ihrer Unterstützer eintauchen. Der Band fügt sich perfekt in die vorhergehenden Abenteuergeschichten Morisonottos ein, macht daraus jedoch keine Serie, weil sich Ort, Epoche und Figuren in jedem Band unterscheiden. Zum Thema Annehmen einer unheilbaren Krankheit ist Autor und Illustrator ein herausragendes Buch gelungen, das auch Erwachsene auf unterschiedlichen Ebenen anspricht. Wer 2021 einen Preis für Buchgestaltung zu vergeben hat, sollte sich den „Der Ruf des Schamanen“ schon einmal bereitlegen.

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