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Buchdoktor

Posted on 27.1.2021

Ein Verlag erhält lange nach dem Tod eines Autors zwei unveröffentlichte Manuskripte, eins davon ist „Der Unfall auf der A35“. Darin geht es um den tödlichen Unfall des Anwalts Bertrand Barthelme, auf den Ehefrau und Sohn merkwürdig ungerührt reagieren. Mutter und Sohn hätten beide von Barthelmes Tod profitiert. Der erfolgreiche, wohlhabende Anwalt Barthelme saß allein im Fahrzeug und kam von der Fahrbahn ab. Ein unfallanalytisches Gutachten scheint es in dem Fall nicht zu geben. Der Anwalt hatte offenbar keine Freunde, und sein Sohn Raymond entsprach so gar nicht den väterlichen Vorstellungen von einem würdigen Nachfolger und Teilhaber in der Kanzlei. Der junge Mann, der in der Schule gerade mit Zola geplagt wird, hat sich durch Faulheit und Selbstsabotage praktisch zwischen alle Stühle gesetzt. Im Stil von Simenons Maigret ermittelt Georges Gorski, der Leiter der örtlichen Polizei im elsässischen Saint Louis. Gorski wurde vor Jahren von seiner Frau verlassen und ist mit der zunehmenden Altersdemenz seiner Mutter spürbar belastet. Ein Mord in Straßburg zwingt Gorski, nach Verbindungen zwischen dem Fall der Straßburger Kollegen und seinem Fall Barthelme zu fahnden. Gorski ist ein erfahrener Ermittler mit Sinn für Ironie. So ist er der Meinung, die Polizei hätte in erster Linie dem Sicherheitsgefühl der Bürger zu dienen und müsse erst in zweiter Linie Ganoven aufspüren. Gorskis Arbeitsweise wirkt wie eine erfolgreiche Kombination aus Beobachtungsgabe, Menschenkenntnis und Schuhsohlenverbrauch. Bei ihm kann ich mir gut vorstellen, dass Verdächtige ihm mehr Verborgenes offenbaren als gut für sie ist. In einem parallelen Handlungsfaden folgt man als Leser dem 17-jährigen Raymond, der eigene Ermittlungen anstellt und sich durchaus sonderbar benimmt. Das Szenario wirkt, als wäre in Saint Louis seit des fiktiven Maigrets Epoche die Zeit stehen geblieben; Tintenfass, Füllhalter und ein textilummanteltes Telefonkabel vermitteln diesen Eindruck. Die Lebensverhältnisse der Figuren wirken äußerst gediegen. Häuser erbt man, auch wenn sie sich später als Klotz am Bein erweisen können; Geld scheint keine Rolle zu spielen. Das Sprachniveau ist dem Lebensstil der Figuren angemessen, so ist Raymonds Vater z. B. „zugegen“. Durch die Rahmenhandlung und die sehr sachliche Darstellung wirkt der Plot authentisch; Burnet kann seinen Lesern in beeindruckend glaubwürdiger Weise suggerieren, dass die Ereignisse genau so gewesen sein müssen. Überzeugender fand ich seine Schreibweise allerdings in „Sein blutiges Projekt: Der Fall Roderick Macrae“. Kern des Kriminalromans ist ein Nachwort, das danach fragt, ob Ereignisse authentisch, wahr oder glaubwürdig wirken müssen, damit Leser in sie eintauchen können. Wer Sympathien für klassische Ermittler-Krimis mitbringt, kann sich hier von einer Hommage an Maigret überraschen lassen.

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