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jankuhlbrodt

Posted on 27.1.2021

Es fällt mir schwer, meine Begeisterung für dieses Buch so zu beschreiben, dass ich das Gefühl behalte, die Worte träfen den Kern. Ich will es versuchen, aber soviel vorausschicken: ich denke, das Buch sollten unbedingt viele lesen. Außerdem finden sich im Buch großartige bildnerische Arbeiten von Mollie Hosmer-Dillard. Friedland wurde 1983 in Berlin geboren und lebt im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Aus dem amerikanischen Englisch wurde der Text von Maria Meinel übersetzt, und ich kann mir vorstellen, dass diese Übersetzung keine einfache Aufgabe gewesen ist, denn der Text speist sich aus verschiedensten sprachlichen und kulturellen Einflüssen, und er vollzieht sprachlich Volten. Wie jeder andere Mythos auch will er sich nicht auf ein Genre festlegen lassen, arbeitet mit rhythmisch lyrischen Mitteln, mit Satzwiederholungen, zuweilen gerinnen sie in gebetsartige Floskeln, und er bezieht seine Logik aus der Abfolge von Ereignissen, die wie die reale Geschichte nicht immer einer inneren Logik entsprechen. „Dahin ging ich gestern Nacht. Man muss wissen, dass diese Geschichte in Bildern zu mir kam. Nicht in Worten. Ich übersetzte also.“ Das steht im letzten Drittel des Buches, kann aber vielleicht für das ganze Buch gelten. Der Text bezieht also seine Logik aus einer Bildabfolge, und aus der Präzision des sprachlichen Ausdrucks, in der diese Bilder aufgehoben sind. Und als wolle er diese Präzision unterscheiden, ist der Text in für einen Prosatext großzügig gesetzt. Das die Abschnitte sich nicht gegenseitig überschatten. Das Buch gliedert sich in Vier Teile, die Geschichte der Asche, des Atems, des Hungers und der Zukunft. In jedem der Teile werden biblische Figuren in einem kurzen Text eher angerissen als vorgestellt. Sie sind Impulsgeber. Nicht ihre Geschichte trägt die Erzählung, aber die Erzählung lässt sich vom Biblischen Mythos immer wieder aufladen, als sei er eine nie versiegende Energiequelle. Der Text, konnte man vielleicht sagen, vollzieht eine Migrationsbewegung, geht über Odessa, über Amerika, über Berlin nach Israel, und verschiebt auch mit jedem Schritt die Zeitebenen, streift neben einer unbestimmt im Gestern liegenden mythischen Zeit immer wieder das zwanzigste Jahrhundert, und da die dramatischen Vierzigerjahre. In diesem Gang durch eine historische Raumzeit reichert er sich an. Es treffen Figuren der nordischen Mythologie auf jene des alten Testaments, Figuren, die ihren Lebensmittelpunkt auf den Gefilden des antiken Israel in den mittleren Westen der USA verlegen, nach Berlin, oder sie durchstreifen als Überlebende des Nationalsozialismus den Harz. Das Buch endet in einem Abschnitt mit einem sich wiederholenden Motiv. Ein alte Frau schwenkt auf einem Dach stehend, ein Schlaflied singend eine Fahne. Und diese Paradoxie eröffnet gleichsam das Moment in dem sich der Text von eingeführten Mythen unterscheidet. Er verweigert ein Ende. Geschichte beginnt. Geschichte beginnt immer wieder.

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