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Buchdoktor

Posted on 27.1.2021

In neun Kurzgeschichten erinnert sich ein heute rund 70-jähriger Mann hauptsächlich an seine Begegnung mit Frauen in jüngeren Jahren und setzt sich dabei mit der Unzuverlässigkeit seiner Erinnerungen auseinander. Der Icherzähler teilt mit dem Autor seine Zugehörigkeit zur Generation der Babyboomer und dessen Interesse an Musik und Baseball. Die Erzählungen sind zeitlich exakt historischen Ereignissen, Pop-Musik-Titeln und Markennamen zuzuordnen. Markennamen-Dropping lässt sich aus meiner Sicht schwer mit Erzählkunst vereinbaren und funktioniert leider nicht kulturübergreifend. Das Thema Erinnern wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, Murakamis Figuren zeigen dabei sehr spezielle Eigenheiten. Seine Blicke auf die Mitschülerinnen und Freundinnen seines Lebens haben mich nicht angesprochen. Das Projizieren des eigenen Alterns darauf, dass ein männlicher Erzähler gleichaltrige Frauen als gealtert wahrnimmt, wirkt für eine um 1950 geborene Figur auf mich klischeehaft bis sexistisch. Empfehlen kann ich allein die Geschichte „Bekenntnisse des Affen von Shinagawa“, die zwischen Realität und Fiktion balanciert. Der Erzähler ist in einem Ryoakan abgestiegen, einer traditionellen Herberge in der Nähe heißer Quellen. Zu ihm ins Thermalbecken steigt ein Affe, der sich als Mitarbeiter des Hotels vorstellt und später gemeinsam mit dem Gast Bier trinkt. Er berichtet, dass er Frauen, die er liebte, ihren Namen stahl und sie damit in unerwartete Schwierigkeiten brachte. Am anderen Morgen ist der Affe verschwunden und es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Gespräch stattgefunden haben kann. Lückenhaftes Erinnern des Erzählers setzt bei Murakamis Lesern einige Geduld voraus und empfiehlt sich eher für hartnäckige Fans

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