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joberlin

Posted on 25.1.2021

Das neue Jahr beginnt mit einem Knaller: Martin Mosebachs neuer Roman "Krass" ist erschienen! Gut geschrieben, flüssig zu lesen, spannend – sind drei Attribute, die ich mir während der Lektüre notierte. Der Autor gliedert den Roman in drei Teile. Zunächst lernen wir das Romanpersonal kennen. Krass, ein wohlhabender Geschäftsmann, hat eine illustre Runde um sich geschart, man genießt Neapels dolce vita, besichtigt hier, speist da, der Assistent Jüngel ist Organisator, ihm gefällt die gutsituierte Umgebung, das Gebaren seines Chefs betrachtet er jedoch mit recht kritischem Blick. Aber immerhin, Krass bezahlt alles – spurensicher in bar – und man ahnt, dass es sich um schmierige Einkünfte aus zweifelhaften Geschäften handeln dürfte. Krass beleibt-bestimmendes Gewese erinnert mich fatal an Hermann Göring, der sich mit Manipulation, Betrug und Gewalt gut auskannte und sich jovial als "letzten Renaissancemenschen" stilisierte. Und auch Krass' Aussage: "Die Kraft eines Genies besteht darin, die Realität seinem Willen zu unterwerfen und nach seinem Willen zu formen" dürfte schon manchem Diktator als Rechtfertigung und Genugtuung gedient haben. Ein Manipulator ist er eben, mit einer "Neigung, Menschen, die ihm bis eben noch unbekannt waren, mit mächtiger Hand zu ergreifen und entrücken", denn "ich pflege Menschen zu kaufen" - und so wird auch die junge Lidewine Schoonemaker aufgegabelt und der Gefolgschaft zugeordnet. Dieser Part erscheint in Namens- und Wortwahl oftmals bemüht, damit soll wohl stilistisch die falsche Wirklichkeit des Settings betont werden. Auf meine Lesefreude jedenfalls wirkt sich das nicht negativ aus. Im 2. Teil erfahren wir aus Jüngels Tagebuch: Die üppige Zeit bei Krass ist vorbei, auf sich alleingestellt und ohne nennenswerte Barmittel will er in Frankreich Abstand vom bisherigen Lebensweg erlangen. Martin Mosebach schreibt hier deutlich schnörkelloser, zügig lässt sich das lesen, interessant und spannend. Eine Geschichte um einen alten Schuster wurde für mich zum Highlight des Romans. Exzellent konstruiert, berührend geschrieben, absolut meisterhaft – Mosebach brilliert hier mit seinem ganzen Können! Teil 3, zwanzig Jahre später: Wir treffen nun wieder auf Krass, in Kairo diesmal, die Deals laufen nicht mehr wie geplant, doch bleibt dieser abgebrühte Geschäftsmann zunächst unbesorgt, ja unbeteiligt. Wird er den reboot schaffen? Oder gilt die Sentenz "Man lernt nichts im Leben, es ist sinnlos, alt zu werden"? Martin Mosebach nimmt in diesem letzten Abschnitt des Romans einige lose Enden aus Teil 1 wieder auf, mir geht das zu flott und wirkt ein bißchen wie mit der schnellen Nadel genäht. Unglaubwürdig reiht sich Zufall an Zufall, so finden sich auch Jüngel und Lidewine vor Ort - mit diesem dramaturgischen Trick schließt sich auf grotesk-amüsante der Kreis, fallen die Puzzleteilchen in ein großes Bild. So ganz geheuer ist dem Autor das wundersame Zusammentreffen seiner drei Hauptpersonen wohl selbst nicht und er schreibt: "Dieses Wiederfinden erklärt gar nichts, gar nichts, und wirft doch ein Schlaglicht auf das Durcheinander des Lebens, als sei man mit größten Mühen die ganze Zeit auf verworren erscheinenden Linien gelaufen, nur um am Schluss zu erkennen, dass man einem vorher festgelegten Muster gefolgt ist." Mosebach merkt man den Spaß an seinem Romankonstrukt und am Fabulieren an und das motiviert und belebt auch seine geübte Leserschaft, die diesen empfehlenswerten Roman und eine ganze Reihe von blitzenden Aperçus sicher genießen werden.

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