Bris Buchstoff
Was passiert, wenn eine großartige Illustratorin und ein Kriminalbiologe mit unglaublichem Fachwissen und der Fähigkeit, dieses in einen breiten Kontext zu stellen, gemeinsame Sache machen? Es entsteht ein wunderschön gestaltetes, interessantes, spannend zu lesendes und klug aufgebautes Buch nicht nur über die „Thierwelt“, das in jedes Regal gehört – ich sage nur, bald ist Weihnachten … Kat Menschik ist sicher einigen Leser*innen als Illustratorin außergewöhnlich schöner Bücher ein Begriff. Sie gestaltet seit geraumer Zeit sowohl Klassiker der Literatur als auch zeitgenössische Werke in der Reihe „Illustrierte Lieblingsbücher“ und bereichert damit die Welt der Bücher ungemein. Ihre Zeichnungen sind eigen im besten Sinn des Wortes – immer überraschend, immer stilvoll und einfach typisch Kat Menschik. Ihr Stil ist unverkennbar und gibt jedem Buch zum Inhalt auch eine äußere Unverwechselbarkeit und einen hohen Wiedererkennungswert. Mark Benecke ist mehr als „nur“ Kriminalbiologe – er hat Biologie, Zoologie und Psychologie studiert, wurde beim FBI ausgebildet und hat schon an der Aufklärung vieler internationaler Kriminalfälle teilgenommen. Seit über 20 Jahren hat er auf radioeins einen Wissenschaftspodcast – heute schießen Podcasts wie Pilze aus dem Boden, Beneckes ist Kult. Außerdem ist Benecke Vorsitzender der Deutschen Dracula-Gesellschaft und Mitglied des Komitees des Nobelpreises für kuriose wissenschaftliche Forschungen .Sein Interesse für viele unterschiedliche Gebiete der Forschung schlägt sich deutlich merkbar im Aufbau der einzelnen Texte seines „Thierlebens“ nieder und macht die Lektüre zu einem Heidenspaß. Dabei lernt man aus den einzelnen Kapiteln wahnsinnig viel über verschiedene Tiere. Ich hatte bis dato beim Anblick von Pudeln eigentlich nur immer im Kopf, dass diese Hunderasse vor allem ihren Haltern als Schmuckstück dienten und klar, das hing in meinem Kopf mit den merkwürdigen Auswüchsen der mir bekannten Schurarten zusammen. Ein Pudel ist schön zu frisieren – aber weit gefehlt. Der Pudel ist an sich ein vor allem für die Wasserjagd – man denke an den Ausdruck „begossen wie ein Pudel“ – gezüchtet und seine Schur diente zunächst dazu, das Gewicht, das sein Fell durch das von diesem sehr gut aufgenommene Wasser um ein vielfaches erhöhte, zu verringern. Man schor ihn also an Stellen, wo das Fell hinderlich war und ließ es ihm dort, wo es ihn wärmte, um ihn gesund zu halten. Ziemlich clever, wie ich finde. Anfang der 1930er – Jahre erfand der Pudelfan Hans Thum den sogenannten „Karakulschnitt“ – der Hund durfte Bart und Tasthaare behalten, an den Ohren wurde kurz geschoren (gut gegen Ohrenentzündungen). Obwohl der Schnitt bei Pudelhaltern beliebt war, war er das bei den Nationalsozialisten nicht und wurde als „undeutsch“ eingestuft und verboten. Die Anfeindungen gegen Thum gingen so weit, dass Rufe danach laut wurden, ihn sogar in ein Konzentrationslager zu stecken. Nachdem Thum die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland überstanden hatte, wurde der Karakulschnitt ab den 1940er Jahren populär genutzt. Aber es werden nicht nur real existierende Tiere portraitiert – und das ja im doppelten Sinn des Wortes. Das Einstiegskapitel befasst sich zum Beispiel mit einem anderen Standardwerk der Weltliteratur, nämlich Barks‘ Thierleben, was jedem Entenhausen – Fan das Herz höher schlagen lässt und klar macht, dieses Buch ist wichtig, aber nicht zu bierernst zu nehmen. Daneben werden auch Sagengestalten, wie Meerjungfrauen und Wassermänner genauer unter die Lupe genommen und man erfährt dabei vieles über die Geschäftstüchtigkeit von Küstenbewohnern. Auch die irrige Annahme, Hunde würden ein Schuldbewusstsein empfinden und damit wären Bestrafungen in deren Erziehung folgerichtig und notwendig, wird wissenschaftlich fundiert widerlegt. Gleichgeschlechtliche Liebe wird ganz eindeutig als natürlich angenommen und endlich aus der „wie sterben dadurch aus“ – Ecke herausgeholt. Gleichzeitig ist das auch ein Bekenntnis dazu, endlich unterschiedliche Familienentwürfe als nebeneinander berechtigt anzuerkennen. "Ich frage mich, ab wann etwas »traditionell« ist, wenn es Hunderttausende von Jahren Entwicklungsgeschichte des Lebens nicht sind. Gleichgeschlechtlichkeit kommt bei Mensch und Tier schließlich zu einem stets gleich bleibenden Anteil vor. Die Natur hat Gleichgeschlechtlichkeit erfunden, und sie hat sich bewährt – sonst gäbe es sie nicht mehr. Nichts ist also traditioneller, normaler und natürlicher als angeblich alternative Beziehungsformen. (S.90)" Schubladen werden hier aufgeräumt, gesäubert und am besten gar nicht mehr geschlossen, denn hat man Kat Menschiks & des Diplombiologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes illustrirtes Thierleben einmal durch, ist klar, Tiere sind auch nur Menschen oder andersherum, wir Menschen sind eben auch Tiere und wir gleichen uns mehr, als wir uns eingestehen wollen. Alles immer wunderschön illustriert und mit einer wohltuenden Portion Lässigkeit präsentiert. So machen Lektüre und Wissenschaft Laune, was dazu einlädt, sich über das Buch hinaus mit vielen (natur)wissenschaftlichen Themen zu befassen. Hätte ich als Teenager solch ein Buch in die Hände bekommen, ich hätte mich erstens mehr für die Naturwissenschaften interessiert und zweitens auch daran geglaubt, dass ich – als Mädchen – das alles genauso gut verstehen kann, wie meine männlichen Klassenkameraden. Wie schon das Eingangszitat "All we have to decide is what to do with the time that is given us. – Gandalf" sagt, müssen wir Menschen uns entscheiden, was wir mit der Zeit, die uns hier gegeben ist, anfangen wollen – einen kleinen Teil dieser Zeit solltet ihr auf jeden Fall für die Lektüre dieses außergewöhnlich schönen, informativen und unterhaltsamen Buches aufbringen. Ihr werdet es nicht bereuen. In diesem Sinne danke ich allen Beteiligten von Herzen für dieses Kleinod, das einen Ehrenplatz in meiner heimischen Bibliothek erhalten hat.