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daslesendesatzzeichen

Posted on 25.1.2021

Mehrfach überkam mich beim Lesen dieses Buches die Erkenntnis, dass ich ein echtes Meisterwerk in den Händen halte. Der Begriff ist abgedroschen, da viel zu häufig benutzt, aber hier trifft er einfach den Nagel auf den Kopf. Der Grund dafür, dass „Das Buch Ana“ so etwas Besonderes ist, liegt meiner Meinung nach an der Tatsache, dass es viele verschiedene Genres in sich vereint: Es ist nicht weniger als ein Buch für Liebhaber des historischen Romans, ein Buch für jene, die spannungsgeladene Bücher lieben und auch für solche, die eher feministische Literatur bevorzugen – und schließlich, man mag es kaum glauben, ist es auch noch ein Buch für alle, die endlich mal wieder eine richtig gute Familiensaga inhalieren wollen. 🙂 Buy one, get everything 😉 Sue Monk Kidd hat auf der Welt spätestens seit „Die Bienenhüterin“ eine eigene Fangemeinde, mit „Das Buch Ana“ legt die amerikanische Autorin, die im positivsten Sinne völlig unamerikanisch schreibt, ihr langersehntes neues Werk vor. Keine leichte Aufgabe, wenn man weiß, dass das neue Buch von Lesern und Kritikern auf Herz und Nieren geprüft werden wird. Diese Prüfung hat der Roman aber mit Bravour bestanden. Was für eine Frau müsste das gewesen sein, mit der Jesus zusammengelebt hätte? Diese Frage trieb die Autorin schon lange um. Doch vor einigen Jahren wurde die Idee zu solch einer Gestalt derart greifbar, dass Sue Monk Kidd zu schreiben begann. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jesus verheiratet war, das alles weiß Sue Monk Kidd und reflektiert dies mit großer Klarheit am Ende des Buches in ihren „Anmerkungen der Verfasserin“. Aber sie liefert auch gute Argumente und Überlegungen, warum es eben doch so gewesen sein könnte: Zum einen, weil die Behauptung, dass er keine Frau hatte, erst im 2. Jahrhundert nach Christus aufkam, als (Zitat) „das Christentum die Ideale der Askese und des griechischen Dualismus in sich aufnahm, welche beide den Körper und die Physikalität der Welt zugunsten der Spiritualität abwerten.“ Zum anderen, weil es zu Lebzeiten Jesu das Normalste der Welt war, dass Männer seines Alters verheiratet waren, so dass dieser Aspekt völlig unerwähnenswert gewesen sein mag. Zudem finden in den Heiligen Schriften verhältnismäßig wenige Frauen Erwähnung. Es könnte also sein, dass diese Ehefrau zwar exisitiert hat, ihn bei seinen Predigerreisen jedoch nicht begleitete, weil sie Haus und Hof hütete und somit als unwichtig erachtet wurde von den Verfassern der Heiligen Schriften … Doch sei’s drum, es ist für den Roman unerheblich, wie es nun wirklich war, denn das Buch funktioniert auch als reine Fiktion wunderbar. Und um allen Religionsfanatikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Nein, das Buch maßt sich nicht an, die Wahrheit abzubilden, keineswegs wird dem realen Jesus eine Ehe unterstellt. Das Buch fußt lediglich auf der Hypothese, wie es hätte sein können. Das allerdings mit Weltklasse. Die Figur der Ana ist eine der herzerwärmendsten, anpackendsten und mitreißendsten Protagonistinnen, die die Literaturwelt gesehen hat. Mich hat kaum eine Handlung derart gefesselt, wie die Entwicklung dieser Persönlichkeit. Vom Teenager, der unsicher, suchend, viel zu aufmüpfig, wissbegierig und lebenshungrig für ein Mädchen ist, bis hin zur geläuterten Witwe Jesu begleiten wir diese Person, die ich unglaublich sympathisch finde und wahnsinnig gerne als Freundin hätte. Obwohl wir alle den Ausgang der Geschichte von Anfang an kennen, ist der Spannungsbogen da, denn Jesus ist nicht das Zentrum dieser Handlung, er ist eine Randerscheinung. Wichtig ist Ana, deren „coming of age“ und vor allem deren Entwicklung ihrer inneren Größe wir beobachten dürfen – und es gibt viele Unwägbarkeiten, denen sie entgegentreten muss. Ihr Vater ist Matthias, Oberster Schriftgelehrter von Herodes Antipas. Ihre Mutter ist eher emotionslos und nur daran interessiert, den Schein einer perfekten Familie nach außen hin aufrecht zu erhalten. Auf wessen Kosten das geht, ist ihr egal. Ana soll funktionieren. Als sie, für heutiges Verständnis, als Minderjährige an einen ihr ekelhaft erscheinenden reichen Herrn verheiratet wird, beginnt ihr Widerstand gegen die Eltern zu wachsen. Hilfe bekommt sie durch ihre Tante Yaltha, die, weise und gebildet, zu einer Art Kompass für Ana wird, der ihr den Weg zu einem selbstbestimmten Leben zeigt, was auch immer das bedeuten mag. Ana hat einen Adoptivbruder, der Sohn der Cousine ihrer Mutter und deren Mann, die tragischerweise bei einem Aufstand in Sepphoris ums Leben gekommen waren, als der Junge zwei Jahre alt war. Zu ihm hat sie eine sehr enge emotionale und spirituelle Verbindung, er ist mehr Familie für sie, als es ihre Eltern je sein könnten. Doch derzeit eckt er immer öfter an, denn er schließt sich aufrührerischen Gruppen an, derzeit einem gewissen Schimon bar Giora, einem Fanatiker, der sich gegen Rom auflehnte. Anas Bruder ist, als die Eltern die glorreiche Idee haben, Ana einem potenziellen Ehemann vorzustellen, schon seit Tagen verschwunden, wohl unterwegs mit den anderen Aufrührern. Der Name von Anas Adoptivbruder ist Judas. Wir ahnen, welche Rolle ihm noch zuteil wird in der Geschichte um Jesus. Ana hat Glück im Unglück – auf dem Markt, als sie ahnungslos dem fremden Mann vorgestellt wird und ihr langsam dämmert, was hier passiert, stürzt sie auf dem Rückweg und der Einzige, der es wagt, ihr die Hand zu reichen und ihr beim Aufstehen zu helfen, ist ein junger, charismatischer Mann mit schwieligen Arbeiterhänden. Zum „Dank“ für seine Hilfsbereitschaft stürzt sofort ein Soldat herbei, der Ana in Bedrängnis wähnt, und schlägt den jungen Ehrenmann zusammen. Ana ist wie von Sinnen, doch sie hört noch, wie jemand einen Namen ruft: „Jesus.“ Anas Sehnen nach Freiheit von ihren familiären Zwängen hat nun einen Namen. Sie hat ihren zukünftigen Mann kennengelernt. Doch noch sind wir weit davon entfernt. Es ist unmöglich, die Vielschichtigkeit dieses Buches zu beschreiben, man muss es wohl mehr als einmal lesen – und ich wage zu behaupten, dass dies das erste Buch werden könnte, das ich tatsächlich mehr als einmal lesen werde, um das alles zu durchdringen. Der Einstieg ist fulminant und es gibt viele Personen, die auftauchen, abtauchen und wiederkehren – und sogar plötzlich wichtig werden. Es geschehen Wendungen, Situationen, die man so nie erahnt hätte, die nicht gut für Ana sind, nicht leicht, aber die sie zu dem formen, was sie immer mehr wird: eine eigenständige, selbstbewusste Frau. Nicht eine, die über den Dingen steht, sondern eine, die wütend wird, die Demut lernt, die Vorurteile über Bord wirft, die hadert, die zweifelt, die wieder und wieder versucht – und am Ende belohnt wird. Nicht mit einem perfekten Leben, sondern mit einer anbetungswürdigen inneren Haltung. Ein Satz, der über allem steht, den Yaltha zu Ana spricht, als es wieder einmal dramatisch wird und Ana zu verzweifeln droht, ist symptomatisch für Anas Leben und könnte wunderbar als Leitsatz für jedes Leben dienen: „Alles wird gut, Kind.“ Empört fuhr ich hoch. „Ach ja? Das kannst du doch gar nicht wissen! Wie kannst du das wissen?“ „Oh, Ana, Ana. Wenn ich dir sage, alles wird gut, dann meine ich nicht damit, dass das Leben dir keine Tragödien bringt. Das Leben wird so sein, wie es eben ist. Ich meine nur, dass es dir trotz allem gut gehen wird. Alles wird gut, ganz gleich, was passiert.“ „Wenn Antipas ihn [Jesus] tötet, wirst du unglücklich und verzweifelt sein, doch es gibt einen Ort in dir, der unzerstörbar ist – es ist der Ort, dessen du dich am meisten gewiss sein kannst, ein Stück von Sophia [allumfassender Geist, Schöpferin allen Lebens] selbst. Du wirst deinen Weg dorthin finden, wenn du musst. Und dann wirst du wissen, wovon ich spreche.“ Welch unsagbar tröstliche Worte! Schon allein wegen dieser Zeilen muss man das Buch lesen! Ich höre nun auf, von diesem Buch zu schwärmen, den beiden weiblichen Protagonistinnen Yaltha und Ana, von dem warmen Schreibstil, den fundierten historischen Fakten, auf denen die Fiktion fußt und von dem Glück, dass es ein solches Buch 2020 gibt, wo alles so doof ist. Wieso ist dieses Buch nicht in den Bestsellerlisten in Deutschland? Ändert das – bitte! It’s up to you … kauft das Meisterwerk!

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