Profilbild von monikafuchs

monikafuchs

Posted on 22.1.2021

Der Sommer des Erwachen   Dieses Buch ist für mich ein Phänomen. Ein schlichter, schöner, weißer Einband, auf dem im unteren Drittel eine sich brechende Welle abgebildet ist. Dazu der Autorenname und der Titel in gleich großer Schrift. Ästhetisch schön. Fällt auf. Aber spricht das Cover die Leser auch so an, dass sie das Buch umdrehen und den Klappentext lesen? Anscheinend ja, denn immerhin hat dieses Buch inzwischen 135 Buchbesprechungen alleine bei thalia.de bekommen. Und 77 % haben die volle Punktzahl vergeben. Außerdem ist dieses Buch das Lieblingsbuch der Unabhängigen (Buchhandlungen) 2020.   Zu dem Inhalt des Buches muss ich Ihnen wenig erzählen. Die Geschichte ist wunderbar wiedergegeben. Allerdings hatte ich mir eingebildet, dass der junge Mann, Robert Appleyard, ein Kriegsheimkehrer aus dem 2. Weltkrieg ist, der noch etwas von England sehen möchte, bevor er zu arbeiten beginnt. Robert Appleyard ist allerdings erst 16 Jahre alt. Also kann er gar nicht im Krieg gewesen sein. Er ist ein einfacher Sohn einer Familie, die schon seit Generationen im Bergbau arbeitet. Er hat gerade die Schule abgeschlossen und hat keine großen Träume für sein weitere Leben, außer dass er gerne das Meer sehen möchte. Und so macht er seine Wanderung, schläft im Freien in einer Art Behelfszelt, ernährt sich von dem, was die Natur ihm gibt oder hilft bei den Bauern aus. Als er bei an einem einsam gelegenen Cottage vorbeikommt, hört er plötzlich ein Knurren. Ein deutscher Schäferhund taucht auf. Und kurz danach eine große Frau, die ihn zum Tee einlädt. Und so beginnt für Robert der Sommer, der sein Leben für immer verändern wird.   Dieses Buch ist mir von zwei Kollegen aus meiner Filiale empfohlen worden. Und ich habe auch angefangen es zu lesen, bin aber anfangs mit der Sprache des Autors nicht zurechtgekommen. Also habe ich es erstmal wieder zur Seite gelegt. Doch dann habe ich für entdeckt, dass ich Bücher, die mich zwar verlocken, mir aber zum Lesen zu ruhig, sprachlich zu eigenwillig sind, besser hören kann. Und seitdem habe ich das Thalia Hörbuch Abo und höre mir die Bücher an, bei denen ich beim Lesen gescheitert bin.   Jetzt habe ich das Hörbuch, gelesen von Manfred Zapatka, beendet. Und nun sitze ich hier mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Die Geschichte war so schön. Ich hätte ihr noch ewig folgen können. Was für ein wundervoller und stiller Roman. Benjamin Myers hat England genauso eingefangen, wie es vor meinem inneren Auge immer präsent ist. Er hat eindeutig einen meiner Seelenorte beschrieben. Und ich liebe Dulcie. So jemanden wie diese eigensinnige, ein wenig spleenige, schrullige, exzentrische Frau hätte ich gerne an meiner Seite.   Mich hat die Mischung fasziniert. Einerseits der ruhige, noch etwas naive, unbeholfene junge Mann, der sehr höflich ist und niemandem zur Last fallen möchte. Und dazu die ältere Frau, bei der ich mich die ganze Zeit gefragt habe, wie alt sie wohl in diesem Sommer gewesen ist? In den Vierzigern? Jünger? Oder älter? Eine Frau, die alleine mit ihrem deutschen Schäferhund in einem etwas heruntergekommenen Cottage lebt. Die anscheinend keiner Arbeit nachgeht, der es aber auch an nichts mangelt. Eine Frau, die gerne isst und trinkt, dabei dem Alkohol nicht abgeneigt ist. Eine Frau, die viele bekannte Persönlichkeiten kannte, interessant erzählen kann und sehr gebildet ist. Wer ist diese Frau? Was ist ihre Geschichte? Und wieso muss sie keiner Arbeit nachgehen? Ich denke für mich, dass sie eine Tochter eines Adeligen ist, die eine regelmäßige Apanage erhält und damit gut leben kann.   Diese beiden Personen lernen sich also in diesem Sommer kennen. Sie bewirtet ihn und lässt ihn bei sich auf dem Grundstück schlafen, er revanchiert sich dafür, indem er sich nützlich macht. Abends führen sie interessante Gespräche. Eines Tages entdeckt er in einem Schuppen, den er entrümpelt, eine Aktentasche mit einem Manuskript. Und dieses Manuskript ist der Schlüsse, durch den wir endlich die Geschichte von Dulcie kennenlernen. Was es mit diesen Gedichten auf sich hat, und wie die Geschichte weitergeht, möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht verraten.   Robert lernt viel von Dulcie. Sie erweitert seinen Horizont und zeigt ihm Möglichkeiten auf, wie er sein Leben auch leben könnte. Dafür findet sie durch ihn in ihr Leben zurück. Als der Sommer vorüber ist, kehrt Robert zu seinen Eltern zurück. Doch sein Leben entwickelt sich anders weiter, als man vermutet. Benjamin Myers erzählt von einem magischen Sommer, der zwei Leben von Grund auf verändert. Am Anfang und am Ende wird die Geschichte von dem inzwischen alten Robert Appleyard erzählt, der sich dann an diesen einen ganz besonderen Sommer zurückerinnert. Und damit schließt sich dann letztendlich auch der Kreis.   An die Sprache musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es gibt viele Landschaftsbeschreibungen mit teilweise sehr ungewöhnlichen Sprachbildern. Der Journalist Christoph Schröder hat sie in seiner Kritik für den Deutschlandfunk als intensive Naturschilderungen beschrieben, die zuweilen das Schwülstige streifen. Ich empfand es persönlich nicht so, sondern für mich passte es zu der Zeit und Handlung. Ich habe diese Roman gerade auf Grund der Sprache und des Gegensatzes zwischen dem jungen Mann und der älteren Frau geliebt.   Auch beim Anhören des Hörbuchs hatte ich anfänglich Schwierigkeiten. Mir kam der Erzählrhythmus etwas geleiert vor. Und ich hatte Probleme damit, die wörtliche Rede von Robert und Dulcie zu unterscheiden. Manfred Zapatka hat den beiden Personen keine unterschiedliche Stimme gegeben. Aber umso länger ich ihm zugehört habe, umso mehr muss ich zugeben, dass Manfred Zapatka die Geschichte einfach toll gelesen hat. Er hat die jugendliche Naivität Robert Appleyards großartig verkörpert. Und schließlich ist es ja die Erinnerung des jungen Mannes an diesen Sommer des Erwachens!

zurück nach oben