Lesen macht glücklich
Hilmar Klutes ersten Roman „Was dann nachher so schön fliegt“ habe ich sehr gerne gelesen und fand dieses Buch so lockerleicht in seiner Art, die Geschichte zu erzählen, dass ich sofort Feuer und Flamme war, als die Neuerscheinung von ihm in den Vorschauen auftauchte. Doch was übertriebene Erwartungshaltungen und ein etwas zu ausführlicher Pariser Rundgang innerhalb der Geschichte anrichten können, versuche ich nun im folgenden Beitrag zu erklären. Dabei habe ich kein schlechtes Buch gelesen, allerdings vermieste mir das flaneurhafte und manch gewollte schwebende Satzkonstruktion die Geschichte um einen Mann in seinen besten Jahren ist, der sich auf die Suche begibt, wohin es in seinem Leben noch gehen soll. Ein Mittvierziger auf Sinnsuche in Paris Doch worum geht es nun genau? Jonas Becker, ein gebildeter Mann der Mittelschicht, steht am Anfang eines neuen Abzweigs in seinem Leben. Getrennt von seiner Frau Corinna, die gemeinsame Agentur in der Abwicklung und die Aussicht auf einen Auftragsjob, der seinen Traum verwirklichen soll, endlich Schriftsteller zu werden. Dieser Auftragsjob beinhaltet, eine Biografie zu dem mäßig erfolgreichen Schriftsteller Richard Stein zu schreiben. Dazu haben Jonas und Stein die Vereinbarung getroffen, dass Jonas den alternden Schriftsteller interviewen wird, um daraus dann eine Art biographisches Buch zu schreiben. Da Stein in Paris lebt und Jonas auf Aufbruch getrimmt ist, zieht Jonas auf Kosten des Verlags nach Paris in die titelgebende Rue Oberkampf, um an dem Schriftsteller nah dran zu sein. Doch schon mit den ersten Begegnungen und Gesprächsmitschnitten wird klar, dass Stein bei dieser Beziehung die Fäden in der Hand hält und nach Bedarf über Wohl und Wehe von Jonas und seinen aufkeimenden Ambitionen als Autor entscheiden kann. Zur gleichen Zeit lernt Jonas Christine kennen, die ihm Paris im Jahr 2015 näher bringt und dabei auch die unschönen Seiten dieser Stadt zeigt. Denn Paris im Jahre 2015 ist eine Stadt in Furcht, eingeklammert in eine Kakophonie des Schreckens und Terror. Erst die Anschläge auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo am Anfang des Jahres 2015 und dann im November auf den Nachtklub Bataclan. Innerhalb dieser Klammer bewegt sich der Roman und beeinflusst auch Jonas in seinem Streben nach einem anderen, freieren Leben, als er es bisher gelebt hatte. Haben seine Ambitionen und die Beziehung zu Christine eine Chance? Oder werden sie unter Terror und Geltungssucht seitens Stein beerdigt?  Gefühlt ein einziger Parisspaziergang Während ich beim Debüt von Hilmar Klute sofort eingenommen war vom Hauptcharakter und von der Geschichte (Anmerkung von mir: Trotz des Themas Lyrik), hatte ich mit „Oberkampf“ zu Beginn meine Schwierigkeiten. Irgendwie war mir Jonas, trotz des fast gleichen Alters (die 40 steht bei mir auch bald zu Buche), zu Beginn irgendwie fremd. Seine Entscheidungen, die er bisher im Leben gefällt hat und die auch zu der Geschichte im Buch führten, waren mir unzugänglich und ich konnte diese nicht nachvollziehen beziehungsweise mit diesem Getue nicht identifizieren. Auch war der Anschlag auf Charlie Hebdo keine hilfreiche Sache, da dieser irgendwie zu aufdringlich unter die Nase gerieben wurde und ich zuerst diese darüber rümpfte, warum das nun mit rein muss. Es ist zwar klar, dass, wenn eine Geschichte im Paris des Jahres 2015 spielt, auch dieser Terror mit erwähnt werden muss, aber irgendwie war ich genervt davon ob der Direktheit mit der es platziert wurde. Es hatte etwas erzwungenes, unnatürliches an sich. Der Sinn, warum das vorkommt und genauso erzählt wird, ergibt sich erst später und soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden. Doch spielt dieser Terroranschlag im weiteren Verlauf nur eine untergeordnete Rolle und ist vielmehr im Unterbewusstsein der Figuren und ihren Handlungen verankert. Vielmehr spielt die Dynamik unter allen Figuren die Hauptrolle im Buch und die bringt Klute nach anfänglichen Schwierigkeiten perfekt zusammen, inklusive Drama zum Schluss, welches man so überhaupt nicht kommen sieht. Dabei hat er den Figuren gegenüber seinem Erstling jedwede Leichtigkeit genommen. Vielmehr brüten alle Menschen in diesem Buch über einer Schwere, dass es beim Lesen wehtut. Ein Aushalten dieser Schwere ist eigentlich nur über die Sprache Klutes möglich, der es auch hier perfekt versteht, in das Drama und die Sorgen, die alle umwölken, eine Leichtigkeit und Poesie in seine Sätze zu zaubern, dass man über eben jene dunklen Wolken, die alle zu umgeben scheinen ebenso hinwegsieht, wie auch über die vielen Beschreibungen der Pariser Straßen, Restaurants und Cafés, die an manchen Stellen unerträgliche Ausmaße annahmen und den Blick auf das eigentliche Geschehen verstellen. Neben all den Unzulänglichkeiten und guten Seiten am Buch gibt es aber einen Punkt, der mich im Buch etwas aufregte und auf was ich in den letzten Jahren den Blick ein wenig intensiver lege – die Frauenfiguren. Diese verkommen allesamt, mit Ausnahme vielleicht von Christine, zu vernachlässigten Nebenfiguren, die halt mit vorkommen müssen, aber irgendwie nur halbgar, fast transparent wirken. Die entscheidenden Säulen werden von Männern getragen und die Frauen schauen dabei zu, missmutig oder mit neutraler Gleichgültigkeit. Doch so richtig entscheidende Impulse dürfen sie leider nicht setzen, was ich vor allem bei den Charakteren Christine und Corinna, den beiden Frauen in Jonas‘ Leben für Verschwendung halte, da diesen beiden Frauen interessante Ansätze angedacht werden, die im Verlauf der Geschichte an dem Desinteresse von Jonas oder seiner Gleichgültigkeit gegenüber den Gedanken dieser Frauen einfach verpuffen. Sprachlich begeisternd, inhaltlich nicht Insgesamt ist dieser Roman weniger gut gelungen als das Debüt von Klute, aber immer noch ein guter Roman mit kleinen bis mittleren Schwächen. Vor allem die Charakterisierung der Figuren hat mir, bis auf die Frauen, wahnsinnig gut gefallen und auch der Twist in der Geschichte, den man wirklich nicht kommen sieht, gibt allen beteiligten Figuren noch mehr Tiefe und Dramatik. Bei den Frauenfiguren hätte ich mir dagegen mehr Tiefe gewünscht. Sprachlich weiß der Autor dagegen erneut zu begeistern, bis auf schon erwähnte Staßenzügebeschreibungen und den zu sehr mit der Faust herein gebrachten Terroranschlag. In den heutigen Zeiten der Unsicherheit und der Angst vor Terror ein Buch, welches genau diese Mischung aus latenter Angst vor solchen Anschlägen beziehungsweise der Angst vor dem Fremden und die Unwissenheit darüber, und dem Leben, was trotzdem noch gelebt werden muss, beschreibt. Dabei sprüht auch hier wieder die Liebe zur Literatur in all ihren Facetten durch und ihre ganzen Widersprüche die man aushalten muss, wer selber ein Schriftsteller werden möchte. Für mich kein Buch des Jahres, aber eines das man zwischendurch mal lesen kann. Eines, welches die unglaubliche Angst des Einzelnen vor dem Terror in unserer heutigen Zeit und die gleichzeitige Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft dem gegenüber aufzeigt. Ein Spagat, welcher dem Buch nicht komplett gelingen mag.