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Buchdoktor

Posted on 15.1.2021

Martina arbeitet als Zimmermädchen in einem schwedischen Hotel. Leute wie sie werden mit Zeitverträgen eingestellt und aufgefordert zu gehen, wenn ihnen etwas an ihrer Arbeit nicht passt. Für Martina ist es entwürdigend, dass sie nicht genug verdient, um sich von ihren Eltern abzunabeln und eine eigene Wohnung zu mieten. Als das labile Gleichgewicht ihres Lebens aus dem Takt gerät, scheint die Begegnung mit Martinas ehemaliger Klassenkameradin Tessan die Rettung zu sein. Tessan hat offenbar das große Los gezogen mit einer Stelle als Hausmädchen auf einem verfallenden Gutshof. Die junge Frau, deren besondere Pläne sich früher immer zu schnell in Luft aufgelöst hatten, betreut die betagte Besitzerin des Anwesens, Florence Wendman. Für Florence ist die Zeit in den 40ern des letzten Jahrhunderts stehengeblieben, als in Europa Krieg herrschte und Florences Vater als Botschafter eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein muss. Die alte Frau klammert sich an Rituale, die Tessan für sie inszeniert und in denen Florences Altersgenossen noch jung sind. Die Icherzählerin Martina fügt sich in das Theaterstück auf Gut Glimmenäs problemlos ein; denn Florence braucht eine Sekretärin für die Büroarbeiten, die sie angeblich zu erledigen hat. Die beiden jungen Frauen leben bei freier Unterkunft und Verpflegung und mit einem bescheidenen Einkommen; ein paradiesischer Zustand, solange Florence noch körperlich fit ist. Doch paradiesische Zustände finden außerhalb von Romanen selten ein gutes Ende. Während das Anwesen zunehmend verfällt und von Weinbergschnecken übernommen wird, fragt man sich, wie lange ein Arrangement wie dieses gutgehen kann. Wann wird einem Außenstehenden auffallen, dass Florence längst nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen über Haus und Haushalt zu treffen und damit leicht auszunutzen ist. Nach wenigen harmonischen Wochen gerät die Idylle durch die Ankunft weiterer Personen ins Wanken, die sich einerseits als höchst anpassungsfähig erweisen, aber auch bereit sind, für ein Dach über dem Kopf mit harten Bandagen zu kämpfen. Die Abläufe innerhalb der Gruppe lassen an ein soziales Experiment oder eine inszenierte Doku-Soap denken. Mit psychologischem Gespür für die Ausnahmesituation demaskiert Hermanson, wer sich mit welchen Mitteln durchsetzt und welche Folgen das für schwächere Gruppenmitglieder haben wird. Eine stimmungsvoll und spannend erzählte Geschichte, die beim Lesen so manches Mal an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lässt.

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