letterrausch
Oscar Wilde und Bram Stoker jagen zusammen Vampire – das ist, auf das Wesentliche eingedampft, die Prämisse von „Stoker’s Wilde“. Und ja, das klingt, als könnte es potenziell in einem Desaster (nicht nur für die Protagonisten, sondern auch für den Leser) enden, doch das tut es nicht. Denn gleich vorweg: Dieser Roman ist einfach ein Fest! Oscar Wilde und Bram Stoker stammen beide aus Dublin. Offenbar ist die irische Hauptstadt ein Dorf, denn man kennt sich. Bei den beiden ist diese Bekanntschaft umso pikanter, da der eine dem anderen die Frau ausgespannt hat. Zunächst ist nämlich Oscar Wilde mit der jungen und schönen Florence Balcombe verlobt, doch diese wendet sich daraufhin Bram Stoker zu und die beiden heiraten überstürzt und ziehen nach London. Da nimmt es kaum Wunder, dass Stoker und Wilde sich nicht ausstehen können. Dass Wilde – man kennt ihn ja – ein lauter, witziger, charmanter Hans Dampf in allen Gassen mit einem ziemlich extravaganten Modegeschmack ist, während Stoker sich als langweiliger, biederer Beamter geriert ist da nur noch das Sahnehäubchen. Die beiden haben schlicht nichts füreinander übrig. Trotzdem kommen sie nicht umhin, sich zusammenzutun, um mit ein paar anderen (teilweise historischen) Figuren gegen einen Vampirkult unter der Führung des geheimnisvollen Black Bishop zu kämpfen. Beobachtet werden sie davon von einer Geheimorganisation, die auch die Texte für dieses Buch zusammengetragen hat. Das zumindest will und das Autorenduo Hopstaken/Prusi weismachen. Kein Grund, lange um den heißen Brei herumzureden: Dieser Roman ist mehr als gelungen. Wenn man noch nie einen Roman über Vampire und Werwölfe gelesen hat, wenn man keine Ahnung hat, wer Wilde und Stoker waren, dann ist „Stoker’s Wilde“ immer noch ein wirklich unterhaltsames und lesenswertes Buch. Es funktioniert nämlich durchaus auf dieser Ebene und bietet genügend Stoff für einen vollkommen unbedarften Leser. Doch seinen wahren Wert entfaltet es natürlich erst, wenn man sich sowohl – wenigstens ein bisschen – mit Bram Stoker und mit Oscar Wilde auskennt. Wie Stokers „Dracula“ ist „Stoker’s Wilde“ ein Briefroman. Schon die Form allein ist also eine Anspielung. Doch dabei bleibt es natürlich nicht. Ja, Stoker und Wilde haben in ihrer Zeit um dieselbe Frau geworben. Ja, Stoker hat schließlich das Rennen gemacht und ist mit ihr nach London gezogen, um dort das Theater des gefeierten Shakespeare-Darstellers Henry Irving zu managen. Auch dieser wird eine nicht unwichtige Rolle in der Handlung spielen. Das Gleiche gilt für Wilde und einen Protegé namens Derrick, ein hübsches, junges Bürschchen, das ein Porträt von sich anfertigen lässt und sich fortan wünscht, das Bild möge statt seiner altern. Wer einigermaßen belesen ist, wird wissen, worauf sich dieser Teil der Handlung bezieht. Man sieht schon hier: Dieser Roman ist voller Anspielungen. Dabei reicht die Bandbreite von Lord Ruthven (aus Byrons „The Vampyre“) über die historische Blutgräfin Bathory bis zu Wolfram & Hart („Angel the Series“). Auch DER Vampir überhaupt, Dracula, kommt natürlich vor, auch wenn dieser Name nie fällt. All dieses illustre Personal lassen die Autoren in einer Handlung agieren, die Elemente aus „Dracula“ und „Das Bildnis des Dorian Gray“ verwebt und damit wiederum den Anschein erweckt, als wären diese vermeintlich historischen Ereignisse im Leben der Autoren die Blaupause für deren bekannteste Werke. Ein herrlicher Kniff, mit Meisterschaft ausgeführt. Ja, bei manchen überraschenden Wendungen kann man lange vorher Lunte riechen und irgendwie zerfaserte der Schluss etwas ins Unerhebliche (mit einem Schuss Vorbereitung für ein Sequel). Doch das ist Meckern auf ganz hohem Niveau. „Stoker’s Wilde“ ist der beste Vampirroman seit langem – unterhaltsam, witzig, schnell, intelligent und schlicht gut geschrieben. Ein Highlight für jeden Fan des Genres!