Wedma
Kurz gesagt: Eine passable Lektüre, wenn man an Geschichte interessiert ist und viel Geduld mitbringt. Oft genug habe ich mich allerdings gefragt, warum erzählt uns der Werte Autor das Ganze? Eine Menge an unnützem Wissen, was da auf einen prasselt. Dick überkleistert mit Effekthascherei, muss ich leider hinzufügen. Klappentext beschreibt den Inhalt recht gut. So kann man es sehen. Wobei das mit dem Intellektuellen, wie der Rezensent der FAZ Dr. Pozzi bezeichnet (steht hinten im Buch), mir etwas weit hergeholt erscheint. Intellektuell kam mir Pozzi in Barnes Darstellung nicht unbedingt vor, eher als ein sexbesessener Maniac, der herausragend in seinem Fach war, i.e. geschickt operieren konnte. Weshalb viel Geduld erforderlich: Hier geht es hauptsächlich nicht um den Mann im roten Rock. Vielmehr ist es ein Portrait der Zeit in Paris der Belle Époque. Dieses Zeitalter wurde hier detailreich, für mein Dafürhalten zu detailreich vorgestellt. Zwischendurch, insb. in der ersten Hälfte, musste ich denken: Warte mal. Das soll doch eine Art Biografie eines Arztes sein, der seiner Zeit voraus war. Aber seitenlang ging es um Dandytum, dieses Thema wurde so intensiv beackert, dass ich den Eindruck gewann, dies wäre einer der roten Fäden hier. Über die Duelle erfährt man auch allerhand, wie all dies zustande gekommen war und wer so alles bei den Duellen und anderem Blödsinn mitgemacht hatte, welche Bedeutung dem beigemessen wurde, welche Logik dahintersteckte usw. Man liest an mehreren Stellen von Sarah Bernhardt, Oskar Wilde und noch vielen anderen Prominenten dieser Zeit, die man aus dem Stehgreif kennt und von noch vielen weiteren, die man nicht kennt. Schön ist, dass ihre Portraits passend zum Text dabei sind. Es gibt eine ganze Reihe an Persönlichkeiten, die mit zumindest paar Zeilen den Eingang in dieses Werk geschafft haben. So manche Charakterisierung fiel aber ganz schön ausführlich aus, was recht oft passierte, sodass die Frage auftauchte, wozu all die Unmenge an Details gut sein sollte? Oder ist es schlicht die Unfähigkeit zu streichen und alles verwursten wollen, was einem bei den Recherchen unter die Hände kam? Irgendwann ging es doch weiter mit dem Arzt, aber nur kurz, und schon verfiel man wieder in die Beschreibungen der Zeit. Insg. wurde aus dem Ganzen schon klar, dass Dr. Pozzi ein besonderer Arzt war, ein Chirurg, der sein Handwerk verstand und Vorreiter in so manchen Dingen, unter anderem in Sachen Sauberkeit. Er desinfizierte sich die Hände vor dem chirurgischen Eingriff, was damals noch neu war. Tragisch war sein Ende. Vllt auch als Konsequenz seines Lebenswandels anzusehen. Und nun der Punkt, der mich durch das gesamte Werk gestört hatte: Es wurde so oft und herzhaft in die Schublade sex sells gegriffen, dass ich mich fragen musste, ob der werte Autor die Leser für so primitiv hält, dass dies als ein unbedingter Teil angesehen wurde, da man sonst sein Werk nicht anrühren würde. Offenbar war man der Meinung, man müsse mit solchen Ausführungen diese Geschichte „aufwerten“. Solche Vorgehensweise offenbart vor allem zwei Dinge: Geringschätzung der Leser und eigene Unfähigkeit zu schreiben, i.e. das gewählte Thema so packend und unterhaltsam darzubieten, dass sex sells gar nicht nötig wäre. Natürlich kann man sagen, das passt in die Zeit, mag sein. Aber deshalb soll das Portrait der Zeit mit dem Zeug nicht unbedingt zugekleistert werden. Viele Wege führen nach Rom. Und nicht zwangsläufig über die besagte Schublade. Ansonsten gab es auch interessante, aufschlussreiche Ausführungen, z.B. der Vergleich der Franzosen mit Engländern, was die Ehe, die Rolle der Liebe in der Ehe usw. angeht. Es ging u.a. noch um Gott und die Welt. Solche philosophisch angehauchten Gedanken, die mit der Weltanschauung eines lebenserfahrenen Mannes zu tun haben, taten dem Ganzen richtig gut. Sie brachten oft die Dinge auf den Punkt und werteten das Werk ungemein auf. Streckenweise fühlte ich mich prima unterhalten. Hin und wieder gab es Grund zum Auflachen oder Schmunzeln. Fazit: Es eher ein Werk über diese Zeit, schon allein, wenn man auf das Verhältnis schaut, wie viel Seiten darauf verwendet wurden, über den Arzt zu referieren und wie viele über die damalige Prominenz und ihre fragwürdigen Sitten. Das Verhältnis ist schätzungsweise 20/80. Kann man lesen. Muss man aber nicht unbedingt.