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Buchdoktor

Posted on 14.1.2021

Der politisch links stehende australische Journalist Felix Moore erhält den Auftrag über Gabrielle Baillieux zu schreiben. Die junge Hackerin hat einen PC-Wurm in das Sicherheitssystem australischer Gefängnisse eingeschleust und damit weltweit die Türen für alle Gefangenen geöffnet, in deren Gefängnissen dieses System verwendet wird. Nun fordern die USA Gabys Auslieferung – und dort würde ihr die Todesstrafe drohen. Zur Vorgeschichte von Gabys Aktion muss man wissen, dass in Careys Szenario 1975 die amerikanische CIA die australische Regierung gestürzt hat. Das Trauma dieser Kolonialisierung der Neuzeit wurde fortan zur Obsession in Moores Leben. 1975 ist auch Gabrielles Geburtsjahr. Moore hat bereits Erfahrung als Polizeireporter, Drehbuchautor und Buchautor. Nachdem er die Machenschaften Rupert Murdochs enthüllte, ist Moore jedoch bei den Mainstream-Medien in Ungnade gefallen und inzwischen als Angeklagter Dauergast vor Gericht. Um die Schulgebühren seiner Töchter zahlen zu können, ist Moore gezwungen, im Auftrag seines alten Kumpels Woody Townes über die Hackerin zu schreiben. Die beiden Revoluzzer alter Schule vereint die Überzeugung, dass man Unrecht unter allen Umständen die Stirn zu bieten hat. Reichlich unbedarft für einen Mann seiner Berufserfahrung, denkt Moore nicht weiter über Woodys Motiv nach, die Kaution für Gabrielle zu zahlen und ihre Hacker-Biografie schreiben zu lassen. Eine Image-Kampagne für eine „gute“ Australierin etwa? Mit den politischen und informationstechnischen Hintergründen der Angelegenheit ist Moore in seiner Rolle als Woodys Werkzeug deutlich überfordert. In Woodys Auftrag wird Moore per Boot in eine unwirtliche Gegend am Hawksbury River gebracht und dort zwischen Mangroven und Eukalyptusbäumen quasi ausgesetzt. Statt einer Toilette gibt es einen Spaten. Moores Arbeitsmittel sind eine alte Olivetti-Schreibmaschine und ein Beutel voll schriftlicher Notizen und alter Kassetten, besprochen von Gabrielle und ihrer Mutter Celine, Moores Jugendfreundin. Gabys Geschichte wird aus der Gegenwart heraus in Rückblenden und Zeugenaussagen aufgerollt. Bindeglied zu Gabrielles Geschichte ist die damalige Clique von Felix, Celine und Woody. Sie verkörpern die typischen Aufsteiger der Nachkriegsgeneration, für die australische Geschichte nur soweit glaubhaft sein konnte, wie sie den eigenen Vätern passiert war. Besonders Celine hat eine schillernde Biografie aufzuweisen, die manch hässliche Wahrheit aus Australiens Nachkriegsgeschichte enthält. Ihre Tochter Gaby war als Schülerin schon Umweltaktivistin. „Ich musste unbedingt die radikalste und coolste Schülerin sein, die sie je gehabt hatten.“ (S. 419) Gabys außergewöhnliches Interesse an Computern wurde schon in ihrer Kindheit immer wieder von Erwachsenen gefördert. Doch Zweifel sind angebracht, ob im Künstler- und Revoluzzer-Milieu ihrer Jugend außer Gabys Lehrerin jemandem bewusst war, welch ausgebufftes Talent da heranwuchs. Für militante Umweltaktivisten bedeutete es einen Quantensprung, wenn ihre Aktionen statt schweren Geräts nur noch ein Modem voraussetzten! Vom Umschreiben des PC-Spiels Zork zum Hacken eines Großrechners war es für Gabi und ihren Freund Frederic schon in ihrer Schulzeit nur ein kleiner Schritt – während die Erwachsenen sich sorgten, ob die beiden etwa Sex miteinander hätten. Careys Roman wird gefeiert als Roman der Epoche nach Wikileaks. Für Leser, die in den 90ern die ersten Computerkids aufwachsen sahen, ist Gabys Biografie sicherlich eine faszinierende Lektüre, um die Erotik des Hackens nachvollziehen zu können. Mich hat in erster Linie interessiert, wer Gaby ist und wie ihre Bezugspersonen auf sie reagieren. Dass man als Leser die Ereignisse bis kurz vor dem fulminanten Schluss nur gefiltert durch den Filter von Moores Unbedarftheit wahrnehmen kann, fand ich hier sehr anstrengend. Sollte Careys Botschaft etwa sein, dass man sich besser nicht von ehemaligen Lehrern und Journalisten regieren lassen sollte, weil sie zu unbedarft für die Welt nach Assange sind? Meine Begeisterung, dass Buch zu empfehlen, hält sich jedoch in Grenzen, weil ich zu oft höre, dass Leser sich in Romanen erkennbare Grenzen zwischen Erzählerstimmen, Dialogen und Ichaussagen der Beteiligten wünschen. Mit seinem unzuverlässigen Berichterstatter Felix Moore und verschwimmenden Übergängen zwischen den Erzählperspektiven stellt Carey hohe Ansprüche an seine Leser. Ein von der Idee her exzellenter Plot, dessen Verwicklungen größtmögliche Aufmerksamkeit erfordern. 3 1/2 Sterne

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