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Buchdoktor

Posted on 13.1.2021

Ein Meteoritensturm hat die britischen Inseln verwüstet. Ein Jahr zuvor schon wurden von Astrophysikstudenten verdächtige Veränderungen in der Nähe eines Jupitermondes beobachtet. Die folgende Hitzewelle fackelte das Land förmlich ab. Selbst Zahlen der Toten und Überlebenden könnten das Ausmaß dieser Katastrophe nicht begreifbar machen. Der Icherzähler Ed konnte sich allein in ein Haus retten, das kurz davor ist, ins Meer abzurutschen. In seinem begrenzten, winzigen Universum könnte er der einzige Überlebende sein, abgeschnitten von Informationen aus der Außenwelt. Vor der Katastrophe war Ed ein verbitterter, übergewichtiger Mann, ausgelaugt von Beruf, dem täglichen Pendeln und den Ansprüchen seiner Frau und seiner Kinder. Eds Gedanken schweifen zurück zu dem Tag, der für ihn das Ende der Zivilisation werden sollte. Im zerstörten Edinburgh gab es keinen Strom mehr, die meisten Bewohner waren von der unvorstellbaren Hitzewelle getötet worden, Überlebende flüchteten aus der Stadt. „Wenn der Wind weht“, Geschichte einer Atomkatastrophe, hatte Ed als Kind lange Alpträume bereitet. Nun verschanzt er sich mit Frau und Kindern in einem Kellerraum – ein sinnloses Unterfangen, wenn man keine Vorräte angelegt hat. Für das Überleben seiner Familie ist von Ed nichts zu erwarten, in technischen Fragen ist er ein Versager. Bei der angeblichen Evakuierung ganz Englands wird Ed von Beth und den Kindern getrennt und schlägt sich seitdem auf der Suche nach seiner Familie allein durch. Er will unbedingt den Süden Englands erreichen, ehe die Evakuierten das Land per Schiff verlassen werden. Jedes apokalyptische Szenario ist zeitlich begrenzt; weil die Menschen den Wettlauf um Wasser und Lebensmittel zwangsläufig verlieren werden. Wenn alle auf der Flucht sind, wer kann Lebensmittel anbauen, Verletzte pflegen oder seine Gruppe gegen Konkurrenten verteidigen? Wer hätte die körperliche Konstitution, eine Krise in diesem Ausmaß durchzustehen? Wem kann man Glauben schenken, wie interpretiert man die Motive konkurrierender Gruppen richtig? Wer führt, wer entscheidet, wer sorgt für Disziplin? Schon bald gibt es nichts mehr zu entscheiden, weil andere längst entschieden haben. Wie zu erwarten war, schließt Ed sich auf seinem Pilgerweg ans Meer anderen Flüchtlingen an. Er kämpft mit allen Mitteln um seinen Platz, getrieben von der Sehnsucht nach seiner Familie. Ein Briefträger aus dem australischen Outback und eine ehemalige Soldatin bringen ihre Fähigkeiten ins Team ein; die Gruppendynamik ähnelt einem verminten Gelände. Adrian J Walkers postapokalyptische Geschichte des 35-jährigen Schotten Ed wirkt äußerlich wie eine vollgeschriebene Kladde, deren ausgefranste Blätter von einem Gummiband (in geprägter Lackoptik) zusammengehalten werden. Der Kampf kleiner Gruppen Überlebender gegeneinander hält den Spannungsbogen in Walkers Endzeitroman gespannt, auch wenn ein Icherzähler sicher überleben wird, um seine Geschichte niederschreiben zu können. Das höchst emotionale Ende ließ für mich die Frage offen, ob Ed sich auf seinem Weg auch persönlich weiterentwickelt hat.

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