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"Ich verstehe das Beharren auf dem Prinzip der Nation nicht […]. Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll, und ich verstehe nicht, dass manche bereit sind, in ihrem Namen in Schlachten zu ziehen.“ „Also doch, Herkunft, wie immer, dachte ich und legte los: Komplexe Frage! Zuerst müsse geklärt werden, worauf das Woher ziele. Auf die geografische Lage des Hügels, auf dem der Kreißsaal sich befand? Auf die Landesgrenzen des Staates zum Zeitpunkt der letzten Wehe? Provenienz der Eltern? Gene, Ahnen, Dialekt? Wie man es dreht, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch! Oder, mit etwas Glück, ein Vermögen, das keinem Talent sich verdankt, aber Vorteile und Privilegien schafft." „»Jede Stadt«, schrieb der englische Schriftsteller John Berger, »hat ein Geschlecht und ein Alter, die nichts mit ihrer Demographie zu tun haben. Rom ist feminin. Paris ist ein Mann in den Zwanzigern, verliebt in eine ältere Frau.« Heidelberg ist ein Junge aus Bosnien, der sich in den Weinbergen am Emmertsgrund von einem Mädchen Deutsch beibringen lässt. Der sich erst viel später des Zufalls bewusst werden wird, ausgerechnet ein Heidelberger Junge geworden zu sein. Der diesen Zufall Glück nennt und diese Stadt: mein Heidelberg.“ Herkunft von Saša Stanišić ist wohl eines der wichtigsten Bücher, die ich überhaupt jemals gelesen habe. Denn es bringt auf den Punkt, was mir lange schon unter den Nägeln brennt: Es ist Zufall, wo man geboren wird, keine Leistung, nichts worauf man stolz sein könnte oder sollte und Nationalität sollte ebenso wenig wie Religion als Abgrenzungskriterium oder Kriegbegründung genutzt werden. Mit Jugoslawien habe ich mich bislang viel zu wenig beschäftigt, das möchte ich nach der Lektüre auf jeden Fall ändern. Empfehlen kann ich den Roman absolut jedem. Er hat unter anderem den Deutschen Buchpreis gewonnen - zu Recht! Dass der Schreibstil wunderschön ist, seht ihr ja selbst an den Zitaten und auch die persönlichen Einblicke in die Familienhistorie des Autors finde ich superspannend, die geschichtlichen Fakten interessant, das Schicksal der dementen Großmutter herzzerreißend.