travelartandbookblogger
„Das Glück in vollen Zügen“ von Lisa Kirsch alias Mina Gold hätte das Sommerbuch 2020 werden können, strotzt es nur so von Alltagsbeobachtungen, die ich eins zu eins so unterschrieben hätte, wäre nicht Corona dazwischen gekommen. Ein bisschen hat es mir dieses Jahr zurückgegeben, wie es hätte sein können, wie es hätte sein sollen. Fangen wir mit den Äußerlichkeiten an: Dass das Cover gute Unterhaltung verspricht, sieht man ja selbst - außerdem liebe ich Wortspiele, weswegen ich den Titel super finde, es hätte wohl auch keinen passenderen geben können. Außerdem finde ich, kann man an dieser Stelle ruhig auch einmal lobenswert erwähnen, dass der Fischerverlag auf nachhaltige Buchproduktion setzt. Lockerflockig, zeitgemäß, mit der bayrischen Landeshauptstadt und deren Umland als malerische Kulisse, in der ich mich als Wahlmünchnerin total wiederfinde, kommt die Geschichte zweier Pendler daher. Marie lebt in ihrem Wohlwagen (das ist kein Schreibfehler, sondern gewollt!) mit ihrer trächtigen Hündin Dexter am Ammersee in Herrsching, ebenso wie Jo, der sich liebevoll um seinen demenzkranken Vater kümmert. Und auf einmal wird der vermeintlich locker-leichte Liebesroman trotz sehr erfrischendem Schreibstil plötzlich doch ziemlich tiefgründig. Wir erfahren mehr über die heutzutage relevanten Alltagsprobleme wie den S-Bahn-Sitzplatzkampf, das Leben im Altersheim (meine Oma hat immer die absichtlich zerrissenen Jeans meiner Schwester ungefragt mit Tiermotiven geflickt :D wohingegen ich während der Zeit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Altersheim von den Bewohner*innen mit Komplimenten für meine schöne Kleidung nahezu überschüttet wurde - inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass das gar nicht so positiv ist^^ Zitat: „an nichts bemerkt man die Generationen-Gap so deutlich wie an den Klamotten“), das Krankheitsbild Endometriose, das immer noch viel zu wenig gesellschaftlich thematisiert wird, dass tindern in der Großstadt besser geht als weiter außerhalb in Kleinstädten - da kann meine Freundin aus Wasserburg ein Liedchen von singen ;), sehr wichtig auch das Bewusstsein für die Schaden anrichtende Objektivierung, egal ob von Frauen oder Männern. Tatsächlich fehlt mir die Wiesn, nachdem ich diese Seiten wahrhaftig verschlungen habe, doch ein wenig, auch wenn viele der negativen Klischees, die Lisa Kirsch erwähnt, leider nicht nur Klischees sind. Voller Stolz kann ich sagen, dass meine Mama es inzwischen unterlässt, mir Kettenmist per WhatsApp zu schicken, aber dass meine Eltern auch die Mülltonnen auswaschen (ich hielt das für normal, aber vielleicht ist das echt so ein Osteuropa-Ding? :D) Rein aus Prinzip würde ich mir niemals ein Dirndl von Cathy Hummels kaufen… Zurück zur Geschichte: Es geht vor allem um die einzelnen Schicksale der beiden Protagonisten (hier zu gendern fühlt sich irgendwie falsch an, also es sind eine Protagonistin - Marie und ein Protagonist - Jo) und um die verhext-verflixte Tatsache, dass sie sich irgendwie immer verpassen, immer kommt irgendwie irgendwas dazwischen, was weniger verzweifelnd, sondern fast schon urkomisch ist. Vor allem die Schilderung ein und der derselben Situation aus unterschiedlichen Perspektiven ist der Autorin sehr authentisch und unterhaltend gelungen! Da ich die ganzen Situationen und Begegnungen beim Lesen bildhaft vor mir gesehen habe, kann ich mir eine Verfilmung des Romans so so gut vorstellen! Und ich würde ihn jedem/jeder empfehlen, der/die gerne eine schöne, unterhaltsame, nicht langweilige oder oberflächliche Geschichte lesen möchte, die eigentlich dafür, dass das Label „Liebesroman“ irgendwie mitschwingt, null kitschig, sondern echt einfach ein kleines schönes Sommerhighlight ist.