Profilbild von travelartandbookblogger

travelartandbookblogger

Posted on 12.1.2021

Wer hinter Unter uns das Meer von Amity Gaige eine lockerleichte Liebesgeschichte vermutet - weit gefehlt, auch wenn das Cover und der Klappentext dies eventuell vermuten lassen. Erzählt wird die Familiengeschichte von Juliet und Michael und ihren beiden Kindern Sybil (7) und George (2), die in Connecticut ein relativ unspektakuläres, normales Leben führen. Er arbeitet bei einer Versicherung, sie schiebt ihre Dissertation in Englischer Literatur/Lyrik vor sich her und kümmert sich um Haus und Kinder - klassische Rollenverteilung eben, mit der besonders Juliet jedoch so ihre Probleme hat, denn besonders seit der Geburt ihrer Kinder wird sie von Depressionen heimgesucht. Die beiden sind sehr unglücklich in ihrer Ehe, er ist mit ihren Problemen hoffnungslos überfordert, nicht zuletzt stehen ihnen aber auch immer wieder politische Unstimmigkeiten im Weg. Er hält nichts von Gleichberechtigung der Geschlechter, ist bekennender Republikaner, der sich seiner Verantwortung als privilegierter weißer Mann nur zu gerne entziehen möchte (dies wird vor allem in den Anspielungen auf die spanische Kolonialgeschichte und die Situation der Indígenas in Hispanoamerika deutlich - die für mich eindeutig ein Ablenkungsmanöver der eigenen Untaten in der Kolonialgeschichte der USA und eine Rechtfertigung für die Ausländerfeindlichkeit der US-Amerikaner gegenüber den Hispanics sind). Um ihre Ehe zu retten, trifft Michael den Entschluss, ein Jahr mit der ganzen Familie auf See zu verbringen. Erzählt wird die Geschichte rückblickend aus der Perspektive Juliets, ergänzt von Michaels Logbucheinträgen (später auch durch Sybils Geschichten). Von Seite zu Seite stellt man sich als Leser*in die Frage: wohin geht diese Reise? Warum ist es Juliet, die direkt zu uns spricht und Michael nur durch die Logbucheinträge? Worin liegt der wahre Ursprung von Juliets Depressionen? Wo hört Freiheit auf - wo beginnt Schuld? Ein philosophischer, poetischer Roman, der definitiv zum Nachdenken anregt, aneckt, polarisiert - dessen politische Statements mit den meinen aber absolut nichts gemein haben.

zurück nach oben