mrsrabe
Zwei Jahre ist es her, seit Lola Vasquez beinahe vom mexikanischen Drogenkartell Los Liones getötet wurde. Seither hat Lola ihr Leben neu geordnet, sich von ihrem Lebensgefährten getrennt, eine Geschäftsbeziehung mit einer neuen Partnerin bildet. Aber noch immer ist Lola die Capitana einer Straßengang, hält ihre Männer fest im Griff. Doch nun ist ein neues Kartell in Los Angeles aktiv, die Lolas Existenz bedroht. Ein weiterer Drogenkrieg eskaliert, der alle beruflichen und familiären Beziehungen Lolas in Frage stellt. „Capitana“ ist nach „Lola“ nun der zweite rasant spannende Thriller aus der Feder der amerikanischen Schriftstellerin Melissa Scrivner Love. Lola ist immer noch die äußerste interessante und zwiespältige Protagonistin, wie ich sie schon aus dem ersten Band kannte. In diesem Thriller verschieben sich die Grenzen zwischen Gut und Böse bei jedem Szenenwechsel. Wer Freund, wer Feind ist, kann in diesem schmutzigen Geschäft um Drogen, Geld und Macht sehr schnell wechseln. Lola – klein und zierlich – darf man nicht unterschätzen, sie ist, wenn es darauf ankommt knallhart. Ihr Gangkodex lautet, nicht an Kinder zu verkaufen und schon gar nicht an weiße reiche Kids. „Wenn die Crenshaw Six an weiße Kids verkaufen, während die Stadt wieder einmal das Drogenproblem bekämpft, wird es Lolas Gang hinter Gitter bringen, nicht die weißen Kids.“ Die Stadt – Los Angeles - hat viele Probleme gleich auf welcher Seite man in dieser Stadt lebt. Ob in Huntington Park, Lolas Viertel, das fast ausschließlich von Latinos bewohnt wird, wo Armut, Arbeitslosigkeit und Straßenkriminalität auf der Tagesordnung stehen, oder in den besseren weißen Vierteln, in denen Menschen wie Lola niemals im Vordergrund sind. Ein Gefälle von Arm und Reich, Diskriminierung, Rassismus: eine explosive Mischung, vor allem wenn rivalisierende Drogenhändler sich an beiden Seiten bedienen. Lola bewegt sich in diesen beiden Welten, in der einen souverän, in der anderen zögerlich. „In Huntington Park hat Lola das Sagen. In der Westside ist Lola so etwas wie die „Andere“, eine ruhige Latina, der die meisten Eltern garantiert denken, dass ihre Tochter nur dank der Minderheitenquote und eines Stipendiums einen Platz in der Schule gekriegt hat.“ Lolas angenommene Tochter Lucy ist Lolas Achillesferse. Für Lucy nimmt sie alles in Kauf, für Lucy bringt sie auch schmerzhafte Opfer. Das macht Lola nicht nur angreifbar, sondern zeigt neben der skrupellosen Capitana ein ganz anderes Bild von Lola. Es gibt in diesem Buch das Kapitel 8, das auf eine derart schockierende und eindringliche Art toxische männliche Gewalt zeigt, wie man es sich kaum vorstellen mag. Wie dieses Kapitel dann auch in die Geschichte passt, ist dramaturgisch fein ausgeführt. Dieser Thriller kann etwas mehr als nur spannend zu unterhalten. Das Buch ist auch eine Milieustudie einer amerikanischen Großstadt, in der Recht und Ordnung durchaus auch nur Macht und Geld bedeuten kann. Es zeigt Menschen in prekären Situationen, Frauen und Kinder, die durch häusliche Gewalt traumatisiert sind, Menschen, die außerhalb der kriminellen Strukturen keinen Platz in der „normalen“ Welt finden, weil sie dort niemand haben will. Melissa Scrivner Love spart nicht mit gesellschaftspolitischer Kritik, wenn sich die Polizei nicht für eine Schießerei nur unter Latinos schert, wenn sie Lola darüber nachdenken lässt, dass ihre Tochter noch nie in einem weißen Haushalt war und damit auch noch nie gesehen hat, wie Angehörige ihrer eigenen Minderheit den Dreck anderer Leute wegputzen, wenn schon Kinder der Diskriminierung durch die gleichaltrigen Spielkameraden ausgesetzt werden, oder wenn Lola eine weiße Frau mit ihrem Hund vor einer Kugel rettet. „Eine Weiße mit einem Pudel, der Donald heißt. Scheißwelt, denkt Lola.“ Lola steht außerhalb jeglicher Konventionen: Leader of the Pack, abgebrüht, verwerflich, verantwortungsvoll und prinzipientreu. Eine Frau, die in einer Männerwelt dominiert. Damit setzt die Autorin einen schönen Kontrapunkt zum sonstigen Genre.