Lesen macht glücklich
Drei Schwestern, eine Wanderung, viele Offenbarungen Eigentlich verbindet die drei nichts miteinander. Die eine ist vollumfänglich in der rechten Szene verfangen, die zweite arbeitet in zwei Jobs (einmal in einer Kantine in der Essensausgabe und bei dem anderen betreut sie alte/kranke Menschen, indem sie sie ihnen sexuell etwas gibt) und die titelgebende Elija ist mit Trisomie23 für ihr ganzes Leben geprägt und hat einen Schicksalsschlag hinter sich, den ihr die strenggläubigen Eltern aufgezwungen haben. Dieses ungleiche Trio, die ihre Kindheit miteinander verbracht haben und deren einzig bindende Aufgabe es war, sich um Elija zu kümmern und auf sie aufzupassen, wollen noch einmal einen Draht zueinander finden. Doch irgendetwas stimmt von Anfang an nicht bei dieser Wanderung und eine dunkle Ahnung formt sich immer mehr. Doch mit dem, was dann passiert, rechnet man auf gar keinen Fall. Ich fand zwar den Aufbau etwas ruckelig. Zum einen wechseln sich die jeweiligen Charaktere immer wieder ab, mit ihren jeweiligen Erzählweisen, und dann wechseln sich innerhalb der Kapitel auch noch Gegenwart und Vergangenheit ab, so dass es zuerst schwer ist, sich da zurecht zu finden. Doch alles wird von der Sprache getragen und da weiß das Buch definitiv zu gefallen. Zum Moor, zum See, auf die Berge Noa steht an einem See, der am Fuße des Berges liegt, der heute von ihr und ihren drei Schwestern bestiegen wird. Sie genießt die frühen Stunden des Tages und wartet auf ihre Schwestern Elija und Loth. Als die zwei auch eingetroffen sind, kann die Wanderung beginnen. Doch schon von Beginn an ist die Stimmung nicht gerade von Zuneigung und Liebe geprägt. Loth hat überhaupt keine Lust und pestet gegen die ganze Unternehmung, Elija ist sowieso in ihrer eigenen Welt gefangen und Noah versucht, das alles irgendwie zusammenzuhalten. Da verwundert es nicht, dass alle drei während der Wanderung mehr in ihrer jeweiligen Vergangenheit festhängen und gedankenschwer verschiedene Momente hin- und herwälzen. Und so wandern sie bis zum Gipfel, den sie erst am späten Nachmittag erreichen und so im Dunkeln wieder herunter müssen. Ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, da auch noch ein Unwetter sie zu überraschen droht. Unüberwindbare Spannungen Dieses Buch brauchte eine Weile, um in mir zu arbeiten und einen Nachklang zu erzeugen. Ich hatte echt zu tun, bis ich es akzeptiert habe, wie es geschrieben ist. Zu Beginn hatte ich mit allen drei Figuren meine Schwierigkeiten, da die Autorin Amanda Lasker-Berlin hier drei grundverschiedene Charaktere aufeinandertreffen lässt, die alle durch die Krankheit Elijas (Trisomie 23) miteinander verbunden und geprägt sind. Doch vor allem mit der Figur Loth, die in der rechten Szene unterwegs ist, hatte ich meine Schwierigkeiten und die konnte ich bis zum Ende nicht ablegen. Doch macht es nicht ein Buch aus, dass man sich an manchen Figuren reibt und diese einem nicht unbedingt gefallen müssen? So erging es mir zumindest in diesem Buch. Denn es macht die Spannungen in dieser Dreiecksbeziehung aus, dass Loth schon alleine durch ihre Gesinnung so unsympathisch ist, es im weiteren Verlauf der Geschichte auch bleibt und so eine Dynamik in die Geschichte bringt, die ohne sie nicht vorhanden gewesen wäre. Sie ist quasi der komplette Gegenpol zu Elija, die Loth am liebsten nicht mehr auf der Welt sehen würde wegen ihrer Behinderung. Dagegen wirkt Noa sogar ein wenig blass, obwohl sie auch eine wahnsinnig spannende Hintergrundgeschichte mit sich bringt. Sie betreut in einem Zweitjob alte und kranke Menschen, indem sie ihnen körperliche und sexuelle Nähe gibt. Das wirkt zwar auf den ersten Blick etwas verwirrend, da sie es wohl sogar bei der Krankenkasse absetzen kann, obwohl es eher wie Prostitution wirkt. Ich weiß zwar nicht, ob es so etwas wirklich gibt, aber ich kann mir so etwas in Abstrichen schon vorstellen, um einen bestimmten Personenkreis menschliche Nähe zu geben. Das alles wird von einem wunderbar melancholischen Text zusammengehalten, der immer wieder zwischen den drei Schwestern hin und her pendelt und diese bei der Wanderung beobachtet. Dabei schauen wir zu großen Teilen in die Köpfe der drei Frauen und lesen ihre Gedanken. Denn obwohl sie körperlich bei der Wanderung teilnehmen, sind sie mit dem Kopf nicht immer anwesend und schweifen in Vergangenheit ab und verarbeiten während der Wanderung spezielle Punkte aus ihrem Leben. Seien es Momente, die alle drei während ihrer Kindheit zusammen verbracht haben und vornehmlich Ereignisse aus der näheren Vergangenheit, als alle drei schon erwachsen wahren. Dabei beleuchtet Amanda Lasker-Berlin die Beziehung von Noah und Loth zu ihrer großen Schwester Elija, die mit der Krankheit Trisomie 23 auf die Welt gekommen ist. Dieses Verhältnis als schwierig zu bezeichnen ist fast schon untertrieben. Insbesondere Loth lässt immer wieder einen richtiggehenden Hass auf ihre Schwester durchscheinen, der nicht mehr gesund scheint. Dabei wird Elija als selbstständige junge Frau beschrieben, die es trotz ihrer Krankheit schafft, gut durchs Leben zu kommen. Besser sogar als ihre Schwestern. Amanda Lasker-Berlin ist mit Elijas Lied ein wirklich starker Text gelungen, der auch eine Hauptfigur mit Behinderung in den Vordergrund stellt und diese sehr nahbar beschreibt und zu Loth einen großen Gegenpol zu Loth setzt. Die Sprache setzt das wunderbar um, so dass man beim Lesen auf der einen Seite eine starke Bindung zu Elija aufbaut, obwohl manche Handlung von ihr nicht unbedingt nachvollziehbar scheint, aber gut erklärt wird, und bei Loth bekommt man einen regelrechten Hass, da ihre Gesinnung und ihre dahingehenden Handlungen nicht in den Kopf wollen. Sie erinnerte mich regelrecht an die Predigerin aus dem Film „Der Nebel“, die zwar aus nachvollziehbaren Gründen handelt, jedoch ihr Wirken so einen großen Einfluss auf die Menschen hat und regelrecht ungesund mit der Bibel argumentiert, dass man sie zum Teufel wünscht. So erging es mir mit Loth. Dazu hat die Autorin noch wunderbare Naturbilder erschaffen, die einem regelrecht vor Augen stehen. Sei es das Moor, in dem die Schwestern zu Beginn entlang wandern, was durch die Worte richtig mystisch erscheint, oder die unwirtliche Bergwelt, der wir bis auf den Gipfel folgen. So folgen wir den Schwestern bei der Wanderung, die einen ganzen Tag lang und bis in die Nachtstunden andauert. Für mich ein gutes Buch, das auf jeden Fall einen sehr starken Nachklang erzeugt und auch nachdem man es ausgelesen hat weiter zum Denken anregt. Es gibt sicher ein paar Schwächen in dem Text, die für mich aber nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Die Beschreibungen sind intensiv gehalten, alle drei Figuren derart unterschiedlich gestaltet, dass eine gute Dynamik in der Beziehung zwischen diesen dreien herrscht und auch ihre jeweiligen Leben bieten viel Potential, um sich Gedanken darüber zu machen. Es gibt zwar ein paar Punkte im Leben der drei Frauen, die vielleicht etwas präziser hätten ausgearbeitet werden können (vor allem bei Noa), aber das ist kein unbedingtes Muss, denn so können die Bilder und Gedanken bei den Leser*innen viel besser ins Rotieren kommen.