Profilbild von Lenislesestunden

Lenislesestunden

Posted on 10.1.2021

"Wenn ich an den ganzen Blödsinn denke, den ich verzapfe, möchte ich vor lauter Übermut am liebsten singen: Ich halt´s nicht aus / die Lüge muss raus. Manchmal denke ich, ich existiere nur, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Ist das schlimm?" - S. 68 Paola ist 16, Wahrheitsfanatikerin, Außenseiterin in der Schule und laut ihrer Mutter ein bisschen zu schwer, weshalb sie täglich mit ihrem Bruder Richi, der im Rollstuhl sitzt, sechzig Minuten "zügig" gehen soll. Dass die beiden sich dabei nicht wie gewünscht auf den Weg zum Golfplatz machen oder in dem Villenviertel, in dem ihre immens reiche Familie wohnt, ihre Runden drehen, ahnt niemand. Stattdessen zieht es die zwei jeden Tag in das Margeriten-Viertel, eine Sozialsiedlung, deren Planung den Wohlstand ihrer Familie begründet hat und wo die Lebenswirklichkeit der Menschen so gar nichts mit ihrer eigenen zu tun hat. Nicht nur, dass die beiden dort die Brüder Antonio und Filippo kennenlernen, die ihr Leben verändern werden - scheinbar liegt hier außerdem das Familiengeheimnis begründet, das schon immer irgendwie spürbar war, aber bisher sorgsam unter den Tisch gekehrt wurde. Was mich an diesem Buch von Anfang an gepackt hat war der extrem schnelle, fast atemlose Schreibstil. Die Geschichte wird aus Paolas Sicht erzählt, es gibt dauernd Gedankensprünge und Abschweifungen, als würde man ihr tatsächlich komplett ungefiltert zuhören. An manchen Stellen konnte das etwas anstrengend sein und ab und zu musste ich nochmal lesen, um mitzukommen, aber gerade das hat dieses Buch für mich auch irgendwie so echt und spannend gemacht. Paola ist klug, trotzig, manchmal ziemlich schnodderig, verletzt, unsicher, wütend, aufgeregt - eben die ganze Bandbreite der Gefühle. Und ich habe sie gerne dabei begleitet, denn es wurde nicht in die typische Klischeekiste gegriffen, sondern die Figuren wirkten authentisch und naja, ich liebe eine gute Coming-of-Age Geschichte halt auch einfach. Und genau das ist das “Dieses ganze Leben” meiner Meinung nach, dabei aber trotzdem durch die Thematik, diesen rasenden Schreibstil, die realistische, unverblümte Protagonistin und die anderen, teilweise fast skurrilen Personen, etwas Besonderes in diesem Genre, das ich so definitiv noch nicht gelesen habe.

zurück nach oben