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Wordworld

Posted on 9.1.2021

Nachdem mich Marissa Meyer mit den ersten beiden Bänden ihrer Renegades-Trilogie überzeugen und in die düstere, ambivalente Welt von Gatlon City entführen konnte, habe ich natürlich sehnsüchtig auf den dritten und letzten Band der intelligenten, innovativen Dystopie gewartet. Als dann anfangs des letzten Jahres die Gerüchte aufkamen, dass der dritte Band trotz vorhandenen Covers, Titels und Veröffentlichungstermin nicht durch den Heyne Verlag übersetzt und veröffentlich wird, war ich mehr als nur enttäuscht. Mir ist klar, dass man als Verlag wirtschaftliche Entscheidungen treffen muss, aber warum man eine Reihe zum letzten Teil absetzen muss, deren Autorin weltweit gefeiert wird und die einen Bestseller nach dem anderen schreibt, ist mir nicht klar. Man hat doch auch eine Verantwortung den Lesern gegenüber, die die Reihe angefangen, sich die ersten zwei Bände gekauft und den Verlag so unterstützt haben. Der Meinung war wohl auch die Autorin selbst. Und als Marissa Meyer im November über Social Media verkündet hat, dass sie den letzten Teil ihrer Reihe auf eigene Faust übersetzen hat lassen und extra für ihre deutsche Fangemeinde als Selfpublisherin rausbringt, war die Freunde groß. Nachdem ich diese Geschichte nun gelesen habe, kann ich es noch weniger glauben, dass mir dieses grandiose Finale beinahe durch die Lappen gegangen wäre und will deshalb an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die Autorin aussprechen: Marissa Meyer - du bist meine Heldin! Das Cover und der Titel sind demnach in einem anderen Stil gehalten. Ursprünglich hätte das Finale "Renegades - Rebellische Liebe" heißen und das bekannte Motiv der ersten beiden Bände in gelb fortführen sollen. In der Ausgabe der Autorin hat die Geschichte den Originaltitel und das Originalcover jedoch behalten. Dass "Supernova" ohnehin viel aussagekräftiger ist, als der deutsche Alternativtitel und auch das Covermotiv wunderbar passt, tröstet gut darüber hinweg, dass die Reihe nun im Regal nicht zusammenpasst. Zu sehen ist auf dem Cover eine rot gekleidete Figur mit Maske, wehendem Umhang und stimmungsvollen Blitzen um die Finger inmitten der Silhouette einer zerstörten Stadt, über der die riesenhafte Maske eines weiteren Superhelden aufragt - der Wächter. Die Gestaltung zieht wieder sofort durch die düstere Ausstrahlung und der surrealen Wirkung der rot-schwarzen-blauen Farbgebung in den Bann. Erster Satz: "Jeder hat einen Albtraum" Das große Finale der Trilogie beginnt mit Novas persönlichem Albtraum: nur wenige Stunden, nachdem ihr Schurken-Alter-Ego Nachtmahr in den Renegades-Turm eingedrungen ist, die mächtigste Waffe der Geschichte geklaut, das Hauptquartiert in Schutt und Asche gelegt hat, nur um danach zu erfahren, dass ihr Onkel Ace Anarcho durch den Wächter gefangengenommen wurde und sie kurz davor stand, enttarnt zu werden, kehrt sie in das Renegades-Gebäude zurück und beginnt mit der Schadensbegrenzung. Nachdem epischen Showdown am Ende des zweiten Teils mit Max´ Beinahe-Tod, Novas Beinahe-Enttarnung und Adrians Schwur, Nachtmahr zu töten, nahm ich eigentlich an, dass sich von nun an alles ändern und Schlag auf Schlag die Identitäten und Fronten auffliegen würden. Dem war aber nicht so - die Geschichte läuft wieder eher ruhig an, während Nova versucht, ihre Fassade aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Befreiungspläne für Ace Anarcho zu schmieden, der im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet. Adrian unterdessen sucht einen Weg, seinen Vätern zu beichten, dass er der Wächter ist und gleichzeitig seine Rache an Nachtmahr zu planen. Schon nach wenigen Kapiteln nimmt die Geschichte dann aber ordentlich an Fahrt auf, denn es häufen sich nicht nur immer mehr Beweise gegen Nova und der Rat beginnt die Präsentation ihrer neuen Geheimwaffe Agent N vorzubereiten, sondern auch die Ziele von Adrian und Nova werden immer inkompatibler, so dass man sich fragt, wie zur Hölle, die Geschichte ein gutes Ende finden soll... "Ja, ich habe Angst, dass ich wieder versagen werde", sagte sie, während sie immer noch in das Nichts in Phobions Gesicht schaute. "Aber tapfer kann nur sein, wer die Angst kennt." Während der zweite Teil sich vor allem auf die Vertiefung des Settings, die Weiterentwicklung der Figuren und die zart aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Nova und Adrian parallel zur erbitterten Feindschaft von deren geheimer Alter Egos - Nachtmahr und der Wächter - konzentriert, geht es im letzten Teil der Reihe deutlich rasanter zu. Das Versteckspiel der beiden Identitäten spitzt sich von Seite zu Seite mehr zu und es ist klar, dass bald Nachtmahr oder der Wächter auffliegen werden. Die Frage ist nur, wann, unter welchen Bedingungen und auf welcher Seite sie dann stehen werden. Denn wo Nova zu Beginn noch eine klare Anarchistin war, deren einziges Ziel es war, die herrschende Ordnung der Renegades zu zerstören, so geriet ihr Weltbild und damit auch ihre Loyalität ins Wanken, je näher Nova Adrian kam, je mehr sie Einblick in seine Familie erhielt und sich in die Gemeinschaft der Renegades einfand. Die beiden Weltbilder der Anarchisten und Renegades, die Frage nach den Helden und den Schurken und die Linie zwischen "Gut" und "Böse" spitzen sich also auch immer weiter zu und lassen den Leser unentschieden zurück. "Was, wenn die Grenzen gar nicht so klar gezogen wären? Was, wenn sie weder eine Heldin noch eine Schurkin wäre? Was, wenn sie beides in sich vereinte?" Wie schon in "Renegades - Gefährlicher Freund" und "Renegades - Geheimnisvoller Feind" erzählen Nova und Adrian abwechselnd aus einer personalen Erzählperspektive, sodass wir abermals mit jedem neuen Perspektivenwechsel zwischen den beiden Polen hin und her geworfen und feststellen müssen, dass die Superhelden nicht so glanzvoll, heldenhaft und perfekt sind, wie sie behaupten, während aber auch die Anarchisten nicht so böse, gefährlich und gewalttätig sind, wie allgemein angenommen. Ich habe selten einen Roman gelesen, der so mit den Perspektiven und Blickwinkeln spielt und den Leser ständig zwischen zwei Weltansichten pendeln lässt, die beide ihre Stärken und Schwächen haben. Hier wusste ich irgendwann gar nicht mehr, für wen ich sein sollte, da ich sowohl die Renegades als auch die Anarchisten lieb gewonnen hatte, mit Adrian bangte, mit Nova hoffte und auch auf deren Ideale und Ziele bezogen zwischen den Stühlen stand. Wo die Linie zwischen "Gut und Böse" schon in Band 1 und 2 verschwommen sind, lässt sich hier noch schwerer ausmachen, welche der beiden Seiten - Renegades oder Anarchisten - eigentlich im Recht sind. Subtil aber auch durch ausdrückliche Diskussionen kommt hier der tiefbrodelnde Konflikt um Verantwortung, Macht und Freiheit zur Sprache und die Ambivalenz der zwei Weltansichten wird immer deutlicher. "Es hatte sich nichts geändert. Und doch hatte sich alles geändert." Der Schreibstil ist dabei sowohl flüssig und temporeich als auch ausführlich in der Beschreibung von Setting und Geschehen. Marissa Meyer entführt uns in ihrer Renegades-Trilogie in eine Großstadt, die durch Gewalt und Verbrechen stark gebeutelt ist und deren Wiederaufbau und Erholung noch immer unter dem Kampf zwischen den Renegades und den Anarchisten leidet. Inspiriert ist die Geschichte natürlich von typischen Superheldengeschichten wie X-Men, Avengers, Batman, Superman oder anderem, was Marvel oder DC so zu bieten hat (Gatlon City ist definitiv eine Anspielung auf Gotham). Demnach ist die atmosphärische Stimmung dieser Stadt und der Helden/Schurken-Geschichte mit viel Düsternis und rasanten Kampfszenen deutlich daran angelehnt. Reichtum und Glanz reihen sich neben Chaos und Armut ein; Hass und Bewunderung sind die zentralen antithetischen Emotionen, die die Bevölkerung gegenüber den Renegades aufbringen. Immer wieder erhalten wir kurze Eindrücke und Anspielungen auf die Grundbedingungen der Stadt und des Landes, erfahren etwas über das Zeitalter der Anarchie, über den Handel, die Technologie oder den Alltag der Menschen. Zeit für ein umfassendes Bild der Situation, gerade aus Sicht der Menschen, ergibt sich aber auch im letzten Teil der Reihe nicht. Dazu ist dieser viel zu sehr auf die Handlung und den zentralen Konflikt fokussiert. "Da waren Verwüstungen. Da war Chaos. Es brach ihr das Herz. Aber unter alldem gab es noch Hoffnung. Die Hoffnung, dass sich die Dinge ändern konnten. Die Hoffnung, dass dies nicht das Ende war." Dafür ist aber die Übersetzung entgegen meiner anderslautenden Befürchtung tadellos. Es lassen sich zwar die ein oder anderen Tippfehler oder Rechtschreibfehler finden, aber diese sind noch im akzeptablen Bereich, sodass es nicht auffällt, dass diese Geschichte nicht durch einen Verlag herausgebracht wurde, wenn man nicht darauf achtet. Gegen Ende fallen ein, zwei seltsame Formulierungen auf, aber ansonsten stehen die Übersetzung und die sprachliche Qualität von "Supernova" Band 1 und 2 in nichts nach. Sehr schön ist auch, dass die Charakter-Übersicht am Anfang des Buches auch hier wieder abgedruckt ist. Ich hatte schon so ziemliche Schwierigkeiten, mit nach fast zwei Jahren noch an die Details der Handlung zu erinnern und so musste ich mir wenigstens die Namen, Fähigkeiten und Positionen der vielen verschiedenen Protagonisten - Renegades wie auch Anarchisten - nicht alle merken und konnte bei Bedarf nachschauen. "Keine Renegades. Kein Rat. Keine Schurkenbanden. Nur die Anarchisten - für die ganze Welt unbezwingbar (...) Dafür hatte sie gekämpft. Aber jetzt nicht mehr. Sie hatte eine eigene Vision." Zu den Charakteren an sich, will ich auch hier wieder gar nicht viel sagen, um Euch nicht den besonderen Reiz wegzunehmen, den die Einordnung der Charaktere auf ständig neuer Informationsbasis auf mich ausgeübt hat. Nur soviel: Marissa Meyer hat die 648 Seiten ihres Finales gut genutzt, um ihre interessanten, detailreich und liebevoll ausgearbeiteten Figuren weiterzuentwickeln, vor neue Herausforderungen und unmögliche Entscheidungen zu stellen. Von Nova können wir uns eine Scheibe von ihrem ausgeprägten Kampfgeist, ihrem Ehrgeiz, ihrer Stärke und ihrer Entschlossenheit abschneiden, während Adrian uns beibringt, dass jeder ein Held sein kann und wir das sind, was wir tun. Trotz ihrer besonderen Stärken zeigen unsere Superhelden immer wieder menschliche Schwächen und dadurch, dass Nova und Adrian beginnen, eine sanfte Beziehung aufzubauen, ihre Ideen auszutauschen und zusätzlich noch Alter Egos haben, die nicht auffliegen dürfen, was das Ganze deutlich verkompliziert, kommt schön viel zusätzliche Dynamik in die Geschichte. "Jeder hat einen Albtraum. Einen... Nachtmahr", sagte sie. "Ich schätze, ich bin deiner." Wer sich nun wie entscheiden wird und wie die Karten für den Endkampf gemischt sind, ist und bleibt die große Frage des Finales, die sich bis zum Ende durchzieht. Über sehr lange Zeit bleibt unklar, welchen Weg Marissa Meyer mit ihrem Reihenabschluss gehen will und welche spannende Auflösung sie sich schlussendlich überlegt hat, hatte ich definitiv nicht kommen sehen. Egal ob die Frage um Ace Anarchos Macht, die Funktionsweise seines Helms, der Ursprung des geheimnisvollen Sterns an Novas Armband, das Rätsel um den Tod von Adrians Mutter, um die Kräfte von Max, dem Banditen, oder die Bandenkriege und die Nacht in der Novas Familie starb - vieles, was zuvor kurz angerissen oder als geheimnisvolles Motiv eingeführt wurde, wird hier weitergeführt, beantwortet und ergibt im Großen und Ganzen endlich Sinn. Mit den vielen spannenden Wendungen (selbst im Epilog haut Marissa Meyer noch eine letzte Bombe heraus), den beantworteten Fragen, den epischen Kampfszenen am Ende und Dramatik bis zur letzten Sekunde hat "Supernova" also wirklich alles, was man sich von einem Finale wünscht. "Ein Blitz. Eine Energieexplosion - nicht nur Gold, sondern auch Wasser - und Amethysttöne, tiefes Magenta und metallisches Orange, die nach außen in alle Richtungen drängten. Die Schockwelle walzte über das Ödland, überspülte die Stadt, füllte die Flüsse und die Bucht und tönte das Wasser in kupferfarbenes Gold, soweit Nova sehen konnte. Es war Zerstörung und Schöpfung zugleich. Es war eine Supernova." Mein ganz besonderes Highlight ist jedoch gar nicht Teil des Endes (auch wenn ich diese etwas unübersichtliche aber definitiv epische Kampfszene sehr mochte), sondern schon ein bisschen früher angesetzt und dreht sich um meinen absoluten Liebling Callum. Während einer friedvollen und wunderschönen Szene mitten im chaotischen, blutigen Kampfgetümmel wurde mir klar, dass die Superkraft des Wunderknaben, die zuvor wie ein netter Trick wirkte, eigentlich die schönste aller Superkräfte ist: Er kann anderen Menschen die Wunder dieser Welt zeigen, ihre Herzen so mit Dankbarkeit, gemeinsamen Idealen, Hoffnung füllen, ihnen einen Ausweg weisen und das beste in ihnen wecken. Für einen kurzen, aber unvergesslichen Moment schien plötzlich alles möglich und mir wurde klar, dass dies die einzige Möglichkeit ist, auch unsere Welt und die Menschheit vor ihrer selbstzerstörerischen Kraft zu retten. Vielen Dank, Marissa Meyer - nicht nur für diese hochspannende, intelligente und innovative Dystopie, sondern auch für diese Erkenntnis. Fazit: "Supernova" führt die Renegades-Trilogie auf rasante und komplexe Art, zu einem schlüssigen Ende. Neben epischen Kampfszenen, politischem Taktieren, zwei gegensätzlichen Weltbildern und unvergesslichen Figuren überzeugen auch die spannenden Wendungen und die Auflösung des Konflikts am Ende. Ich bin absolut geflasht!

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