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mabuerele

Posted on 7.1.2021

„...Einige Erinnerungen hielt sie gerne fest, andere würde sie am liebsten in einem der vielen Kellergewölbe unter den Amsterdamer Banken wegsperren. Oder in einem der vielen Tunnel, die die Hügel ihrer Heimat durchzogen...“ Es sind die Gedanken einer alten Dame, mit der das Buch beginnt. Noch weiß ich weder, wer sie ist, und auch nicht, was ihr Leben geprägt hat. Dann wechselt die Geschichte ins Jahr 1933 und in das kleine niederländische Städtchen Geethorn. Josie und ihr Bruder Samuel spielen mit dem Nachbarsjungen Klaas. Man spielt Krieg: Spanien gegen Niederlande. Samuel mahnt Josie. „...Das Entscheidende im Widerstand gegen den Feind war nicht der Kampf, bläute ihr Samuel immer wieder ein, sondern das Warten...“ Noch ahnt Josie nicht, wie wichtig neun Jahre später diese Sätze werden. Am gleichen Tag gewinnt Josie eine neue Freundin, die deutsche Jüdin Anneliese, die bei einer Nachbarin eingezogen ist. In der Gegenwart begleitet Ava ihre Großmutter zur Eröffnung einer Bibliothek in Amsterdam, die von dieser gestiftet worden ist. Die Autorin hat einen bewegenden Roman geschrieben. Sie verknüpft auf geschickte Weise zwei Ereignisse miteinander. Das ist zum einen die Suche von Ava nach der Vergangenheit ihrer Familie, zum anderen der Umgang der deutschen Besatzer mit den Juden in den Niederlanden. Es geht um schuld und Vergebung, um die Gier nach Geld und Menschenverachtung. Der Schriftstil lässt sich zügig lesen. Vor allem im Part der Gegenwart wird schnell deutlich, dass dort eine Menge unter den Teppich gekehrt wurde. Avas Großmutter herrscht über ein mächtiges Imperium. Einen Teil des Geldes setzt sie gegen den Willen ihrer Neffen für wohltätige Zwecke ein.Bisher weiß nur so allein, wie viel Blut an diesem Geld klebt. Als Ava in Uganda im Auftrag ihrer Großmutter eine soziale Organisation dahingehend überprüft, ob sie auch das tut, was sie vorgibt, lernt sie Landon kennen. Seine Schwester stellt Ava in den USA ihrer Großmutter vor. Die reagiert heftig. Das lässt Ava fragen: Wer war William Kenston wirklich, dem ihre Familie den Reichtum verdankt? Ihre Nachforschungen führen sie tief in die Vergangenheit. Noch kennt sie Paul Epker nur als Bibliotheksdirektor, der ihr folgenden Satz mitgibt: „..Die Vergangenheit schleicht sich oft unerwartet in unsere Gegenwart…“ Das Geschehen in den Jahren 1942 und folgenden wird chronologisch erzählt, versehen mit Ort, Monat und Jahr. Wie raffiniert die Besatzer dabei vorgegangen sind, zeigt das folgende Zitat: „...Aus den ganzen Niederlanden waren Menschen in das jüdische Getto umgesiedelt worden, das nur einige Straßen vom Theater entfernt war. Eliese hatte gehört, viele von ihnen seien erleichtert gewesen, dass sie nicht in eines dieser grauenvollen Lager in Deutschland gebracht worden...“ Zwei Fragen werden im Buch konsequent angesprochen. Zum einen geht es darum, wer Hitler seinen Aufstieg finanziert hat, zum anderen wird die Mitarbeit im Judenrat thematisiert. Während bei ersterem nur Geld und Gewinn im Mittelpunkt standen, ist die zweite Problematik vielschichtiger. Offensichtlich ging es um das eigene Leben. Das aber war nach Abschluss der Aktion keinen Pfifferling mehr wert. Andererseits zeigt die Geschichte von Josie und Eliese, dass die minimalen Chancen genutzt wurden, zumindest das Leben von Kindern zu retten. Die Geschichte liest sich extrem spannend. Das liegt einerseits am historischen Hintergrund, andererseits an den komplexen Beziehungen der Protagonisten der Gegenwart und ihren vielfältigen Geheimnissen. Sehr unaufdringlich durchzieht der christliche Gedanke von Vergebung und Neuanfang das Geschehen. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

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