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Buchdoktor

Posted on 7.1.2021

Ein Stipendium für eine ausländische Universität oder eine Arbeitserlaubnis für die USA sollte für einen jungen Afrikaner das große Los sein. Für die vermeintlichen Glückspilze erweist sich der Visa-Stempel im Pass oft als Zugang zu einer Sackgasse. Die kindliche Hoffnung der Daheimgebliebenen auf Geschenke aus den reichen Ländern im Norden und die Verpflichtung gegenüber allen, die den Weg ebnen halfen, kann sich zusammen mit dem Leistungsdruck im Studium zu einer unüberwindlichen Hürde aufbauen. Für viele afrikanische Studenten gibt es aus dem Ausland kein Zurück mehr. Weil sie sich den Anforderungen des Familienclans trotz bester Examensnoten nicht gewachsen fühlen oder sich der Heiratsdiplomatie der Elterngeneration nicht mehr unterwerfen wollen. Für Frauen, die im Mittelpunkt von Chimamanda Ngozi Adichies Erzählungen stehen, hat das bescheidene Glück zwischen den Kulturen einen besonders hohen Preis. Adichies Heldinnen müssen sich ihr Glück mit der Trennung von ihrer Familie oder durch sexuelle Dienstleistungen erkaufen, die einige Männer als den ihnen zustehenden Anteil betrachten. "Ich bin Nigerianerin, Feministin, schwarz, Igbo und mehr, aber wenn ich als eine von diesen kategorisiert werde, wird es fast unmöglich, als eine der anderen gesehen zu werden, ich empfinde das als Beschränkung." - Adichie über Adichie in einem Interview mit Daria Tunca. (Mehr über die Autorin auf der Webseite Marabout.) Chimamanda Ngozi Adichie (*1977 in Abba/Nigeria) ermöglicht ihren Lesern den Blick in einen zweiseitigen Spiegel. Die eine Seite zeigt, wie Einwanderer aus Afrika die schizophrene Haltung der US-Amerikaner gegenüber Schwarzen erleben. Die andere Seite spiegelt den Brain Drain, die Abwanderung begabter Studenten und qualifizierter Arbeitskräfte aus Afrika in wohlhabende Länder. In "Zelle eins" berichtet Adichie vom Schicksal einer Professorenfamilie, deren Sohn aus Langeweile als Mitglied einer Jugendgang straffällig wird und sich im Gefängnis der gnadenlosen Knasthierarchie gegenübersieht. Nkem in "Imitation" wird von ihrem Mann im goldenen Käfig eines Luxushauses in den USA gehalten, während er in Nigeria mit einer Geliebten zusammenlebt. Chika und eine ihr unbekannte Muslimin begegnen sich auf der Flucht vor einem plötzlichen Gewaltausbruch auf dem Markt. Mit den beiden Frauen unterschiedlicher Religionen stehen sich die beiden Volksgruppen gegenüber, die in "Ein privates Erlebnis" von den Herrschenden zu Ausschreitungen aufgehetzt wurden. Die "federleichte Freundlichkeit" der fremden Frau charakterisiert treffend Adichies liebevollen Umgang mit ihren Figuren. In "Geister" trifft James, ein Überlebender des Biafra-Konflikts, einen längst Totgeglaubten, als er seine Rente abholen will. Rentenzahlungen wird es nicht geben; denn das Geld wurde längst veruntreut, ehe es James Wohnort erreichen kann. James verkörpert in rührender Weise das Zusammentreffen des modernen und des traditionellen Afrika. Von gebildeten Menschen wie James wird die Unterscheidung zwischen Realität und Geisterwelt erwartet. Ungeachtet davon erhält James Besuche seiner lange verstorbenen Frau. "Letze Woche Montag" konfrontiert uns mit der Vergeudung von Qualifikationen, die in Afrika dringend gebraucht würden. Für ein höreres Einkommen als sie in Nigeria als Lehrerin von 50 Schülern erhalten würde, betreut Kamara in den USA ein einzelnes Kind. Josh, dessen Mutter farbig ist, soll mit optimaler Ernährung und Förderung zu einem kleinen Überflieger optimiert werden. Kamara hat den Begriff multiethnisch noch nie gehört, der sie als Kinderfrau für ein farbiges Kind qualifiziert. Doch in Joshs weißen Vater Neil blickt die unterschätzte Hilfskraft tiefer, als ihm angenehm sein kann. Ängste vor Kinderschändern und Ernährungssünden, wie Neil sie pflegt, können sich laut Kamara nur satte Menschen leisten. In "Jumping Monkey Hill" werden Schriftsteller aus verschiedenen afrikanischen Ländern zu einem Workshop nach Südafrika eingeladen. Über die Selbstgefälligkeit, die sie in der Art des Autorensponsoring empfindet, könnte die Erzählerin Romane schreiben. Mit einem Literaturpreis ausgezeichnet zu werden, der wie ein Lebensmittelkonzern heisst - eine zweifelhafte Ehre. Ujunwa fordert den einflussreichen weißen Sponsor des Treffens heraus, indem sie eine beklemmend realistische Geschichte aus dem Berufs-Alltag schwarzer Frauen abliefert. "Die amerikanische Botschaft" zeigt uns dasThema Asyl aus der Warte derer, die vor den Botschaften westlicher Staaten Schlange stehen. In weiteren Erzählungen geht es um arrangierte Ehen und unrealistische Vorstellungen vom Leben im Ausland, wie sie durch ameriksnische Fernsehserien geprägt werden. Eine letzte Geschichte erzählt im Stil Chinua Achebes aus der Zeit des Kolonialismus. Wenn ein gutes Buch seine Leser nachdenklich und verändert zurücklassen soll, ist Chimamanda Ngozi Adichie das mit ihren Erzählungen exzellent gelungen. ----- Textauszug "Es war der Sommer, als du Großmama gefragt hast, warum Nonso den ersten Schluck bekam, obwohl Dozie dreizehn war, ein Jahr älter als Nonso, und Großmutter sagte, Nonso sei der einzige Sohn ihres Sohns, der einzige, der den Nnabuisi-Namen weitertrgen würde, während Dozie nur ein nwadiana sei, der Sohn ihrer Tochter. Es war der Sommer, als du die abgestreifte Haut einer Schlange auf dem Rasen fandst, unverletzt und hauchdünn wie durchsichtige Strümpfe, und Großmama dir sagte, der Name der Schlange sei echi eteka, "Morgen ist weit weg". Ein Biss, sagte sie, und in zehn Minuten sei es vorüber. Es war nicht der Sommer, als du dich in deinen Cousin Dozie verliebtest, weil das schon ein paar Sommer früher passiert war, als er zehn war und du sieben ..." (S. 256)

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