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Buchdoktor

Posted on 7.1.2021

Der Berlin-Flaneur und Sachbuchautor Bernd I. Gutberlet führt zu Beginn seines Reiseführers zurück in die Zeit vor 1989, als West-Berlin von einer Mauer umgeben war und die Berliner Ausflüge nur in Parks, Schrebergärten oder auf Friedhöfe unternehmen konnten. Das üppige Grün der Stadt habe damals als Mittel gegen Lagerkoller gedient. Großzügige Wasserflächen haben einen kühlenden Einfluss auf das Stadtklima. Dem Besucher von außerhalb zeigt sich eine Stadt mit ehemals riesigen Industriebrachen und einem einzigartigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere (weltweit hat Berlin die größte Mauersegler-Population), der durch das Bevölkerungswachstum leider bedroht ist. Listen-Fans können sich bei Gutberlet amüsieren mit den 13 hässlichsten Dingen zum Wegsehen, den wichtigen 10 Straßen, die bisher unterschätzt werden, oder den 7 bekanntesten Serien, die in Berlin spielen. Themen sind u. a., wie der Berliner so tickt, wie sich der Dialekt entwickelt hat, Berlin als Garnisonsstadt, Berlin als Ziel von Menschen aus 185 Nationen, die ehemalige Industriemetropole, die Zeit des Kalten Krieges, jüdisches Leben nach 1989. Beim Thema Arbeitslosigkeit, typisch Berliner Ineffektivität, maroder Infrastruktur, jüngster Gentrifizierung oder der berühmten Kodderschnauze nimmt der Autor kein Blatt vor den Mund. Äußerst gut gelungen finde ich in Gutberlets kleiner Berlin-Bibel die Verknüpfung von Geschichte, Wirtschaftsgeschichte, Architektur und Stadtentwicklung. Wer sich für diese Themen interessiert, findet einen Fundus an Informationen. So kann man mich immer wieder damit unterhalten, dass ein Anfang 1920 geborener Wilmersdorfer oder Charlottenburger im Laufe seines Geburtsjahres eingemeindet und zum Berlin-Wilmersdorfer und Berlin-Charlottenburger erklärt wurde. Noch Jahre später fuhr man „in die Stadt“ ins eigene Stadtzentrum oder „nach Berlin“. Ein wenig zu kurz kommen Themen, die Kinder interessieren (die Listen sind dazu ein vielversprechender Beginn). Da man über Berlin nie genug wissen kann, empfehle ich den kleinen gelben Bauklotz unbedingt.

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