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Buchdoktor

Posted on 7.1.2021

In Sête im französischen Languedoc wird ein junger „Gitan“ tot aufgefunden. Die örtlichen Ermittler reagieren verschnupft darauf, dass ihnen für einen ihrer Ansicht nach Routinefall ein erfahrener Ermittler aus Montpellier geschickt wird. Lazare, der Mann aus Montpellier, behält zunächst für sich, dass er enge Beziehungen zur Region pflegt. Er hat hier seine Polizei-Ausbildung begonnen und sein Ex-Chef lebt, hochbetagt, noch in Sête. Lazares Onkel Jules, auch er hochbetagt und außerdem zunehmend verwirrt, droht nach sintflutartigen Regenfällen sein Anwesen über dem Kopf zu zerfallen. Die Cevennen sind nun einmal ein Landstrich voller bockiger Hugenottenabkömmlinge und ehemaliger Widerstandkämpfer. Im Vergleich zu den alten Herren, die gern von früheren Heldentaten erzählen, wirkt Lazare selbst erschreckend durchschnittlich. Lazare hatte gerade die nötigsten Unwetterschäden an Onkel Sisets Haus beseitigt, als er zum Fall des toten Pablo Fernandez abgerufen wird. Auf seiner To-Do-Liste bleibt deshalb unerledigt, wie es mit Onkel Siset weitergehen soll, der wrklich nicht mehr allein leben kann. Außer dem Fall Fernandez verfolgt Lazare in der Region sehr eigene Interessen, hält den Kollegen gegenüber seine Karten jedoch lange verdeckt. Lazare tritt Zeugen gegenüber ungewöhnlich forsch auf und macht sich mit seiner Heimlichtuerei keine Freunde in der Polizeistation. Dass er mehr erfahren würde, ließe er die jüngeren Kollegen auch einmal ausreden, geht ihm in möglichen Folgebänden hoffentlich noch auf. Als parallel zu dieser Handlung in der unmittelbaren Umgebung zwei ältere Männer unter verdächtigen Umständen ums Leben kommen, stellt sich auch hier die Frage nach Motiv und möglichen alten Geschichten. Der Spur des Geldes folgend, faltet Robert Hültner die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse einer kargen Region auf, in der eine Generation allmählich ausstirbt und eine andere auf der Suche nach einem Lebensunterhalt zuwandert. Der Tourismus hat sich bisher als launische Geliebte gezeigt; denn Touristen stornieren gern ihre Buchungen, sobald der erste Regentropfen fällt. Wie und wovon die Leute leben, fand ich höchst spannend. Die Ermittler müssen sich damit befassen, wie die zugezogenen „Neos“ mit der gerade abtretenden alten Garde der Landwirte klarkommen, wer Geschäfte macht, wem der Grund gehört und wem der Zugang zu einer der raren Wasserquellen. Auch die Frage stellt sich, warum gerade zwischen Sête und Deutschland eine enge Beziehung zu bestehen scheint. Hültner hat wie in seinen Kajetan-Krimis die wirtschaftliche und politische Situation seines Schauplatzes akkurat und detailreich recherchiert. Neben der Charakterisierung einer beachtlichen Anzahl von Figuren wirkt das Funktionieren des menschlichen Biotops zumindest ebenso spannend wie der Showdown zum Ende und die Auflösung eines höchst komplizierten Falles.

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