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Buchdoktor

Posted on 7.1.2021

Was würde passieren, wenn alle Geberstaaten innerhalb weniger Jahre ihre Entwicklungshilfe an Afrika einstellen würden? Eine Hungerkatastrophe? Nichts? Die Autorin dieser Streitschrift, Dambisa Moyo wurde 1970 in Sambia geboren, studierte in den USA Finanzwirtschaft und Volkswirtschaftslehre, arbeitete für die Weltbank und lebt heute in London. Sie repräsentiert die Generation gebildeter junger Afrikaner, die in ihrer Heimat dringend benötigt würden. "Der Westen behandelt Afrika wie ein unmündiges Kind", wirft die Autorin den Geberstaaten vor. Durch gut gemeinte Hilfs-Aktionen Prominenter sei die Entwicklungshilfe zu einem Bestandteil der Unterhaltungsindustrie geworden. Moyos Bestandsaufnahme ist ernüchternd. Afrika sei nach Jahrzehnten des Geldtransfers ohne Kontrolle der Verwendung wegen dieser Zahlungen arm und nicht trotz der Hilfsprogramme. Während weltweit die Armut sinke, sei Afrikas Anteil an den "armen" Staaten in 20 Jahren von 20% auf 50% gestiegen. Die Lebenserwartung und die Alphabetisierungsrate sinke, der Kampf gegen tödlich verlaufende Krankheiten sei erfolglos geblieben. Entwicklungshilfe verlangsame das Wirtschaftswachstum, fördere die Korruption und verdränge einheimische Waren und Händler vom Markt. Moyos Kritik an der bisherigen Praxis der Entwicklungshilfe: - Bedingunsloser Geldzufluss ist leistungsfeindlich und zementiert den Kolonialstatus, - Die Geberländer lassen sich zum Teil auf sachfremde Bedingungen der Empfängerstaaten ein, die das ursprüngliche Ziel unmöglich machen. - Die Verwaltungskosten der Entwicklungshilfe-Bürokratie sind zu hoch, Hilfeorganisationen sind Selbstzweck, weil sie einer halben Million Mitarbeitern aus den Geberländern Arbeit geben, - Einige Staaten finanzieren 90% der Staatsausgaben aus Entwicklungshilfe, oft dienten die Mittel als Ersatz für Steuereinnahmen und ständen damit Demokratisierungsbestrebungen direkt entgegen. Wer keine Steuern zahle, habe auch keinen Anlass, seine Bürgerpflichten wahrzunehmen und seinen Staat zu kontrollieren. - Die meisten Empfängerländer seien unfähig, die Spenden und Güter überhaupt zu verteilen. Moyos Forderungen: - Die Helferstaaten sollten direkt investieren, anstatt durch ihre Zahlungen allein die Geldmenge zu vermehren. Ein verbessertes Investitionsklima, Rechtssicherheit und marktwirtschaftliche Reformen seien Vorraussetzung für Wirtschaftswachstum. - Freihandel für Agrarprodukte, Schluss mit dem Protektionismus für in den Geberländern erzeugte Agrarprodukte - Eine Verbesserung des Angebots von Mikrokrediten und - Eine Erleichterung von Überweisungen afrikanischer Emigranten in die Heimat, der Transfer müsse preiswerter und sicherer werden. Interessant fand ich Moyos Anmerkung, dass Bürgern, die keinen Zugang zu Banken hätten, damit die Möglichkeit fehlt, selbst Geld anzusparen. Bei einem Rückblick in die jüngste Geschichte zeigt Moyo, warum die Marshallplan-Hilfe für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg so wirkungsvoll war und warum sich im Gegensatz zu afrikanischen Staaten einige asiatische und lateinamerikanische Schwellenländer inzwischen zu leistungsfähigen Volkswirtschaften entwickeln konnten. Als einzigen wachstumshemmenden Unterschied zu den "Tigerstaaten" Asiens z. B. sieht Moyo in Afrika die Vielfalt eines ganzen Kontinents mit über 2000 Sprachen und Dialekten. Warum Entwicklungshilfe das Gegenteil von dem bewirkt, das sie ursprünglich erreichen wollte, begründet Dambisa pointiert. Allein durch die vorhandenen Geldmittel würde die Korruption zunehmen und die Gefahr von Bürgerkriegen gesteigert, da Rebellen direkt an die Geldtöpfe strebten. Obwohl die Emerging Markets für Investoren sehr attraktiv seien, wollten Investoren nicht in Ländern investieren, die von Entwicklungshilfe abhängig sind. Wenn die Geldmenge zu groß und das Warenangebot zu gering sei, hätte das Preissteigerungen zur Folge, die sich negativ auf den Export auswirkten und der Faktor Arbeit würde zu teuer. Den von den westlichen Staaten stets angeführten Einwand, Demokratie sei Voraussetzung wirtschaftlichen Wachstums, lässt Moyo nicht gelten. China, Peru und weitere Staaten wären auch ohne Demokratie und ein Mehrparteiensystem wirtschaftlich erfolgreich. Umgekehrt sei Wirtschaftswachstum die Vorausssetzung für eine Demokratie. "Ein leerer Bauch geht nicht zur Wahl". Die Autorin zeichnet ein demprimierendes Bild prassender afrikanischer Staatsoberhäupter und einer sinkenden Spenderlaune der Geberländer. Am Beispiel des fiktiven afrikanischen Staates Dongo gibt die Ökonomin marktwirtschaftlich orientierte Tipps, wie Dongo mit einem Stufenplan Investoren ins Land holen könnte. Moyo zieht die Investitionen Chinas in fast allen afrikanischen Staaten als Beispiel erfolgreicher Entwicklung heran. Kritik westlicher Staaten an der chinesischen Expansionspolitik in Afrika weist sie zurück; denn diese Kritiker hätten während des Kalten Krieges aus Eigeninteresse Afrikas unfähige Führer geduldet und unterstützt. Afrika müsse nun selbst lernen, Verträge mit Investoren zu formulieren und deren Einhaltung zu kontrollieren. Moyo, die ihre Kritik und ihre Forderungen sonst sehr gut begründet, sieht Direktinvestitionen Chinas sehr unkritisch und beachtet den Faktor Mensch/Arbeit in ihren Theorien zu wenig. Wenn im Austausch für den Bau von Straßen und Gebäuden einige Hunderttausend Chinesen in ein afrikanisches Land einwandern - welche qualifzierten Jobs entstehen bei diesen Projekten für Afrikaner? Wer profitiert vom Wachstum, wenn chinesische Einzelhändler in China produzierte Waren verkaufen? Dambisa Moyo argumentiert plausibel und bringt in die Entwicklungshilfe-Diskussion eine wichtige Stimme afrikanischer Herkunft ein. Dabei konzentriert sie sich als Ökonomin m. A. zu stark auf das Investitionsklima und lässt den Faktor Mensch (und seine berufliche Bildung) außer Acht. Würde der afrikanische Hersteller von Moskitonetzen, den sie als Beispiel anführt, wirklich seine Produktion ausbauen und Arbeitsplätze schaffen, wenn zukünftig Hilfsgüter aus dem wohlhabenden Westen ausbleiben? (8.11.2011)

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