Buchdoktor
Nini und Jameelah sind Freundinnen seit der Grundschule. Als wäre Pubertät für 14-jährige Mädchen allein nicht schon grausam genug, - "Alles wird immer anders, obwohl man gar nicht will," - droht Jameelah und ihrer Mutter in diesem Sommer die Abschiebung aus Deutschland in den Irak. Die Gefahr misst Jameelah an der Farbe der Behördenbriefe im Briefkasten. Dass es für Jameelah um Alles oder Nichts geht, würde die Icherzählerin Nini am liebsten komplett verdrängen - und ihr Kneifen könnte die Freundinnen zum ersten Mal in ihrem Leben trennen. Doch vor einem möglichen Ende ihrer Freundschaft liegt für die beiden Mädchen ein letzter gemeinsamer Sommer. Nicht allein mit Klauen, Kiffen und Saufen testen sie die Grenzen ihrer Teenager-Welt aus. Sie reißen auf dem Straßenstrich Männer auf, denen sie eine Wohnung mit Stuckdecke zutrauen, um mit denen gegen Bezahlung schon einmal für das richtige Leben zu üben. Nahtlos gelingt ihnen anschließend der Übergang in eine Kinderwelt, in der sie sich, auf einem Verteilerkasten mit ringelstrümpfigen Beinen baumelnd, schwerwiegende Gedanken über sich und die Welt machen. In dieser Welt verlaufen unsichtbare Linien zwischen deutschen, bosnischen, russischen und arabischen Jugendlichen. Linien, von denen einige aus dem Jugoslawienkrieg stammen und die es einem Jungen unmöglich machen, die Beziehung seiner Schwester oder Cousine mit einem Partner "der anderen Seite" zu tolerieren. Jameehlas Mutter erträgt nur schwer, dass sie vor Gewalt nach Deutschland geflüchtet ist und sich auch hier Menschen gegenseitig umbringen. "Du bist so deutsch!", schleudert Jameelah ihrer Freundin entgegen, als die die Naive mimt, die nicht wahrhaben will, dass Jameelahs Vater in einem Unrechtsstaat kein Straftäter sein musste, um getötet zu werden. Am Ende dieses Sommers wird eine kleine Schwester zur Frau geworden und für die Freundinnen das Spielhaus endgültig zu klein geworden sein, in dem sie sich zu nächtlichen Abenteuern verabredeten. Die melancholische Stimmung des letzten Sommers einer Kindheit, widersprüchliche Gefühle ihrer pubertierenden Figuren zwischen großer Klappe und Angst vor dem ersten Sex trifft Stefanie de Velasco authentisch und auf den Punkt genau. Tigermilch ist der grandiose Pubertätsroman zweier Großstadtgören. Vergleiche von Büchern mit "Tschick" verbieten sich meiner Ansicht nach von selbst. Wie von der Autorin auf dem Vorsatzblatt angekündigt, ein Roman für Mädels - und für die, die noch immer wehmütig ihren Gefühlen für Tschick und seinen Kumpel nachtrauern.