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Babscha

Posted on 4.1.2021

Warum nur müssen so viele Bücher richtig gut loslegen und dann so stark nachlassen!? Dies hier ist auch wieder so eins. Oliver Seuß heißt der Typ, um den sich hier alles dreht. Geboren im Wendejahr 1989 in einem sächsischen Kaff voller hinterwäldlerischer Einheimischer hat er es echt nicht leicht gehabt. Denn als Zeugungsunfall einer flüchtigen Affaire hat sich seine 17-jährige Mutter direkt nach der Geburt abgesetzt und ihn bei seinem asozialen und versoffenen Proletenvater zurück gelassen, dessen einzige Leistung darin besteht, in nicht in ein Heim abgeschoben zu haben. Was den vernachlässigten, eigenbrötlerischen und weltfremden Einzelgänger allerdings auszeichnet, ist seine unglaubliche mathematische Begabung, die ihm später zunächst nach Grimma auf eine Spezialschule und später über hervorragende Leistungen bei der Internationalen Matheolympiade in Montreal dann an die TU Dresden verhilft, wo er sich als Doktorand dem weltweit noch ungelösten mathematischen Problem des Beweises der „Riemannschen Vermutung“ einer höheren Ordnung hinter den Primzahlen mit Haut und Haaren verschreibt. Unterstützung bekommt er dabei nur von seinem ihm wohlgesonnenen Professor und seiner Liebe zu Barockmusik und Alkohol, deren Genuss ihm aus eigener Sicht den Kopf befreit zur Erkenntnis dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ihn objektiv aber im Laufe der Zeit immer mehr zum Sonderling und Alkoholiker mutieren lässt. Und dann wäre da noch Ina, eine clevere und ehrgeizige Physikstudentin an seiner Uni, die ein Faible (oder auch mehr) für Oliver entwickelt, von dem gehemmten, sozial unreifen und unerfahrenen Theoretiker zunächst jedoch lange geblockt wird. Sein Leben also ein permanentes Auf und Ab und Hin und Her, bis er dann irgendwann tatsächlich doch noch ins richtige Gleis abzubiegen scheint. Der Auftakt des Buches ist sehr gelungen, die Charakterzeichnung pointiert und die Diskrepanz zwischen der dörflich-beschränkten Herkunft seiner Großfamilie, in die es ihn, unselbstständig wie er ist, immer wieder zurückzieht, und seinem Durchstarten auf dem intellektuellen Highendlevel seiner Inselbegabung im universitären Elfenbeinturm. Auch die komplizierte Beziehung zu seinem bis zuletzt an ihm völlig desinteressierten Vater ist stark umgesetzt. Und zumindest einige Passagen der gelegentlich im tiefsten Sächsisch wieder gegebenen wörtlichen Rede der Beteiligten bereiten temporären Spaß, dies ufert jedoch irgendwann dermaßen aus, dass einem dieser dann doch recht schnell vergeht. Und leider verliert sich Hofmann spätestens ab der Mitte des Buches in einer wiederholten, schier unendlichen, quälenden und massiv spannungsreduzierenden Aufzählung so ziemlich aller bekannten Mathegenies der Geschichte, ihrer Forschungsansätze und Hinterlassenschaften incl. philosophischer Denkansätze. Ebenso folgen in dieser Fülle überflüssige Ausführungen zu den Karrierechancen und -knicken abgehobener Akademiker, dem auch in diesem Metier zwangsläufigen Networking und wie das Beziehungsgeflecht mit der Politik dann funktioniert. Eine stärkere Konzentration auf die eigentliche Kerngeschichte hätte dem Ganzen absolut besser getan. Für den Rest kann man als Leser bei Interesse auch Fachbücher, Google oder den Erfahrungsschatz des eigenen Lebens bemühen. Das überraschende Ende war für mich dann leider auch zu plötzlich, zu konstruiert und gewollt. Auch da hätte man irgendwie mehr draus machen können. Gebremster Schaum, das Buch, wenn auch nicht ganz vertane Lesezeit.

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