Buchdoktor
"Annette. Ein Heldinnen-Epos" ist eine Romanbiografie der Anne Beaumanoir, deren Autobiografie in zwei Bänden vorliegt und außer Gesprächen der Autorin mit der 95-jährigen Beaumanoir Grundlage ihres Heldinnen-Epos ist. Band 1: Leben für Gerechtigkeit. Erinnerungen 1923 bis 1956 (2019) Band 2: Kampf für Freiheit. Algerien 1954 bis 1965 (2020). Inhalt Außer der beeindruckenden Biografie einer Frau, die ihr Leben lang gegen empfundenes Unrecht Widerstand leistete, ist Anne Webers Buch stärker noch eine Reflexion des „revolutionären Grundparadox“. Annette, deren Eltern bereits in jungen Jahren durch ihre Beziehung Widerstand gegen unreflektierte gesellschaftliche Normen leisteten, hält immer wieder inne, um sich zu fragen, wem ihr Handeln gerade dient. Rettet sie in ihrer aktuellen Situation wirklich Leben und kämpft für „die Guten“? Dient sie nicht gerade dem Machterhalt eines Amtsträgers oder einem Staat, der Menschen wie sie nicht respektiert? Ihr zweifelndes Innehalten tritt zum ersten Mal auf, als sie von einer geplanten Razzia erfährt, spontan die betroffenen Menschen retten will, aber allein schwer entscheiden kann, ob ihre Aktion nicht eher schadet. Im Verlauf ihres Lebens handelt sie immer wieder instinktiv, „weil jemand es tun muss“, obwohl ihr Handeln sie eher zu einem „Niemand“ macht. Sie wird zu einer Person, teils unter falscher Identität lebend, die jahrelang ihre Angehörigen nicht sehen kann – und wiederholt zweifelt, warum sie für dieses Land und diese politische Situation ihr Leben riskiert. Fazit Letztlich geht es in Anne Webers Romanbiografie darum, was einen Menschen zum Dissidenten macht und wie sich Widerstandsgeist in verschiedenen Lebensaltern ausdrückt. Am eindrucksvollsten fand ich die gerade einmal 20-jährige Annette, die sich durch ihre Tätigkeit für die Résistance eine besondere Form der Isolation auferlegte. Stilistisch anspruchsvoll und mit leicht ironischem Unterton finde ich „Annette. Ein Heldinnen-Epos“ das richtige Buch im richtigen Moment für Leser, die sich selbst schon gefragt haben, wo ihr Platz ist, an dem sie etwas bewirken können. In der Politik, im Sozialen – oder einfach im Beruf?