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Bris Buchstoff

Posted on 3.1.2021

Ein Raum, vier Stühle, drei Menschen, zwei davon getrennt, aber noch irgendwie in einer Partnerschaft, die dritte Person als Vermittlerin dazwischen und das vor allem für den letzten, den leeren, den außergewöhnlichen Sessel. Denn dieser leere, nicht zu den anderen Sitzgelegenheiten passende Sessel symbolisiert offensichtlich etwas. Was genau, das müssen Charlotte und Steve miteinander herausfinden – wie das durch ihre Paartherapeutin Sandy geschickt und unorthodox gesteuert wird, macht die Lektüre zu einer spannenden, tiefgehenden Angelegenheit mit Kammerspielatmosphäre. John Jay Osborn legt die Geschichte um Betrug und Vertrauensbruch nicht gerade untypisch an. Steve betrügt Charlotte, sie findet es heraus, sie trennen sich räumlich, versuchen aber zumindest wegen der Kinder noch einigerma0en miteinander klar zu kommen – so sieht das Szenario auf den ersten Blick und von außen betrachtet aus. Außergewöhnlich im Setting ist jedoch die Tatsache, dass die beiden, obwohl sie ja bereits getrennt leben, eine Paartherapeutin anstelle eines Scheidungsanwaltes aufsuchen. Ganz abgeschlossen können sie also mit ihrer Partnerschaft noch nicht haben und das nicht nur wegen der gemeinsamen Kinder. Und so treffen sie sich in regelmäßigen Abständen zu gemeinsamen Sitzungen, von denen sie – so scheint es – nicht so genau wissen, wohin diese überhaupt führen sollen. Während Charlotte tief verletzt stark auf eine gewissen Wahrung von Rechten und Grenzen – auch auf Steves Seite – pocht, wirkt Steve von Anfang an so, als wolle er das Ende der Partnerschaft nicht einfach so hinnehmen. Im Gegensatz zu Charlotte, die er betrogen hat, ändert er einiges in seinem Leben, vor allem aber die Einstellung zu dem, was er sich vom Leben erwartet. Sandy, die Therapeutin macht von Anfang an klar, dass die Chancen, die Ehe der beiden zu retten, nicht eben gut stehen, es sich aber auf jeden Fall lohnt, zu kämpfen, beziehungsweise an ihrer Verbindung zu arbeiten. Sie scheint Steve und Charlotte besser einschätzen zu können, als diese es selbst vermögen und lenkt die Fortschritte, die sie in ihrer Beziehung machen, nie mit Blick auf einen der beiden, sondern auf das, was sie gemeinsam verbindet: die Ehe. John Jay Osborn wirft seine Leser*innen mitten hinein in die Geschichte, obwohl er sie bei der ersten Therapiesitzung beginnen lässt. Eigentlich wollte ich das Buch verschenken und nur mal kurz anlesen, weil ich es selbst nicht kannte und selten Bücher verschenke, die ich selbst nicht gelesen habe. Doch kaum hatte ich zu lesen begonnen, schon war ich mittendrin und wollte nicht nur wissen, was aus Steve und Charlotte werden wird, sondern, wie Sandy die beiden durch die nächsten Monate geleiten würde. So vieles, was dabei aus den Tiefen auftauchte, kennt wohl jede*r von uns. Unausgesprochene und deshalb falsche Erwartungen, Verletzungen, die man sich und dem Partner nicht eingesteht, Rücksichtslosigkeiten und zu viele Rücksichten an der falschen Stelle – immer hat es mit nicht so richtig funktionierender Kommunikation zu tun. Wie man wieder so miteinander kommunizieren lernt, dass eine Beziehung getragen wird von Respekt, Vertrauen und vor allem Liebe, das zeichnet Osborn auf angenehme und empathische Weise nach. Dabei bedient er zwar Verhaltensmuster, die uns allen bekannt sein mögen, dennoch verfällt er nie ins Klischeehafte, sondern bleibt bei allem vor allem eines: menschlich. Im Original heißt Osborns Roman „Listen to the Marriage“ – schwer übersetzbar, aber den Kern des Romans um einen Ticken besser treffend, als der deutsche Titel. Ein Roman, der mich gefesselt hat, bei dem ich einfach wissen wollte, wer sind diese beiden Menschen, die sich da trotz ihrer Trennung noch so sehr lieben, dass sie das, was sie gemeinsam aufgebaut haben, nicht wirklich aufgeben wollen und bereit sind, sich neu kennenzulernen, das, was zu viel ist, zu reduzieren und eigentlich ohne einander nicht sein wollen. Und das vollkommen Kitsch-frei. Eine überraschende und gerade in Zeiten, in denen ich mich mit dem Lesen im Allgemeinen schwer tat, sehr wohltuende Lektüre.

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