minijane
Den Platz im Leben finden Bewertet mit 4.5 Sternen In dem Buch "Dieses ganze Leben" von Raffaella Romagnolo übersetzt aus dem Italienischen, geht es um Paola de Giorgi kurz vor ihrem 16. Geburtstag. Sie hat ein schönes Zuhause. Ihre Eltern sind wohlhabend. Sie sollte ein glücklicher und zufriedener Teenager sein. Stattdessen hadert sie mit ihrem Leben. Es fängt schon einmal damit an, dass sie ihren etwas übergewichtigen Körper hasst, ihre Schwabbelbeine, ihre Haare, ihre fettige Haut. Da ist es auch nicht hilfreich, dass ihre Mutter ihr eine Waage schenkt. In der Schule wird sie gemobbt, und der einzige Mensch dem sie uneingeschränkt vertraut ist ihr behinderter Bruder Ricci. Wenn die Mutter sie täglich zu 60 Minuten strammen Laufen verdonnert, macht sie sich mit ihrem Bruder im Rollstuhl auf den Weg und nutzt die Zeit mit ihm dem unerträglichen Alltag zu entfliehen. Dabei überqueren die Beiden dann die Schnellstraße zur Arbeitersiedlung Margeriten, die die Mutter hasst wie die Pest und stopfen sich mit Junkfood aus dem Büdchen voll. Eine Begegnung mit Antonio und dessen Bruder Filippo, die in der Siedlung zu Hause sind, die von der Baufirma der Familie di Giorgi errichtet wurde, verändert Paola's Sicht auf das Leben und ist auch für Ricci eine Bereicherung. In diesem Roman wird die Geschichte einer Familie erzählt, es gibt einen großen Familienskandal, es geht um arm und reich um Werte, die Liebe und den Umgang mit Behinderungen. Die Ich- Erzählerin Paola erzählt in einer ausschweifenden oft schnodderigen Art, ist zynisch und weitsichtig. Es macht Spaß ihren Ausführungen zu folgen. Besonders am Anfang geht sie sehr selbstkritisch mit sich selbst zu Gericht. Auf jeden Fall hat Paola die Gabe den Finger genau in die Wunde zu drücken. Ehrlichkeit ist ihr wichtig. Umso schlimmer ist es für sie, als sie entdeckt, dass ihre Eltern Lügner sind. Zu ihrem Bruder Ricci hat Paola eine sehr enge Verbindung. Klar, necken sie sich auch wie ganz normale Geschwister, aber durch seine Behinderung hat Ricci von klein auf eine Sonderrolle in der Familie. Sein Tun wird ständig durchleuchtet, ob es ein Symptom für irgendwas ist und ob man einen Arzt hinzuziehen sollte. Nur Paola behandelt ihn normal und hat mit der Zeit eine Beziehung zu ihm aufgebaut, die über eine normale Geschwisterbeziehung hinausgeht. Schön ist, dass sich die Figuren, die die Autorin sehr authentisch zeichnet, im Laufe des Romans weiterentwickeln. So gelingt es Paola nicht nur sich im Laufe des Buches mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zu arrangieren, sie fasst auch wieder Vertrauen und erlaubt es sich und ihrem Bruder etwas eigenständiger zu werden. Für mich war es ein rundherum gelungener Roman, den ich sehr gerne gelesen habe und gerne weiterempfehle. Manchmal fand ich die Sprache von Paola aber zu erwachsen für eine 16Jährige. Erwähnenswert auch die Nebenfiguren wie den Gärtner, der die Oma umschwärmte und die rumänische Nanny, die ich allerliebst fand.