Buchdoktor
Die Vorgängerbehörde der heutigen NASA, das Langley Memorial Aeronautical Laboratory der NACA, konnte zum Ende des Zweiten Weltkriegs den gewaltigen Bedarf an Mathematikern nur decken, indem schwarze Mathematikerinnen eingestellt wurden. Das gewaltige Wachstum kriegswichtiger Forschung zeigt anschaulich der Anstieg der Mitarbeiterzahl von 15 000 auf 150 000 Personen in kurzer Zeit. Noch bis 1984 waren in den USA nur 2% aller Ingenieure afroamerikanischer Herkunft, bei der NASA waren es bereits 8,4%. In den 40ern herrschte an Schulen, Universitäten, im Arbeitsleben, wie in der gesamten Öffentlichkeit strenge Rassentrennung. Erst 1947 wird die Rassentrennung in der US-Armee und am Arbeitsplatz per Gesetz abgeschafft, erst 1954 die Rassentrennung an Schulen aufgehoben. Bis dahin konnte nur jeder Betroffen einzeln gegen die Diskriminierung klagen. Begabte schwarze Schüler konnten zwar an rein schwarzen Universitäten studieren, stießen im Arbeitsleben jedoch sofort an eine gläserne Decke, weil die weiße Bevölkerung bis lange nach dem Krieg noch an der Vorstellung festhielt, dass schwarze Mitarbeiter einer Firma vermutlich Reinigungspersonal sein müssten. Ein großer Teil schwarzer Absolventen arbeitete nach dem Examen trotz bester Abschlüsse weit unter ihrer Qualifikation als Lehrer. Die Autorin Margot Lee Shetterly aus Hampton in Virginia wuchs dagegen bereits mit der Vorstellung auf, dass Wissenschaftler bei der NASA ein normaler Job für Schwarze sei, schließlich wimmelte es in ihrer Heimatstadt von schwarzen Mathematikern. Dorothy Vaughan, Katherine Johnson und Mary Jackson, deren Leben Shetterly hier nachzeichnet, waren in den USA der 40er zwar an ihrem Arbeitsplatz für jeden sichtbar, wurden jedoch lange nicht als schwarze Wissenschaftlerinnen wahrgenommen. Als Dorothy Vaughan, Katherine Johnson, Mary Jackson ihre Stellen im Langley Memorial Aeronautical Laboratory antreten, gibt es zwei große Rechenzentren, West-Computer und Ost-Computer und eine dritte Welt, die der Rassentrennung. Toiletten sind automatisch „weiß“, Farbige Mitarbeiter müssen extra gekennzeichnete Toiletten für Farbige benutzen und in der Kantine nur an separaten Tischen sitzen. Während es landesweit noch nicht üblich ist, dass Mütter kleiner Kinder berufstätig sind, müssen die neuen Mathematikerinnen ihre Familien zurücklassen und an 6 Wochentagen ihren Dienst in drei Schichten leisten. Der soziale Druck muss enorm gewesen sein, als Außenseiterinnen im doppelten Sinn korrekt und fehlerfrei zu arbeiten. Als Frauen und schwarze Akademikerinnen halten die „Computer“ im Team fest zusammen und stellen höchste Ansprüche an sich, um nur keinen Anlass zur Kritik zu bieten. Erst der Sputnikschock von 1957 und der schiere Mangel an fähigen Wissenschaftlern führten schließlich zur Aufhebung der Rassentrennung in der Wissenschaft. Die USA konnten sich schlicht nicht mehr leisten, die Talente ihrer schwarzen Wissenschaftler zu verschwenden. Doch die Angst, technisch hinter Russland zurückzubleiben, führte auch dazu, dass Amerikaner als Spione verdächtigt wurden, die zur Rassentrennung und Lohndiskriminierung schwarzer Mitarbeiter fortschrittlichere Ansichten zu vertreten wagten als die weiße Mittelschicht. Die Arbeitsbedingungen der Kriegsjahre, besonders die von Frauen, fesseln mich schon immer als Thema. Leider erschwert der pathetische, aufgeblähte Stil Margot Lee Shetterlys das Lesen unnötig. In Romanen bin ich erklärter Fan von Schachtelsätzen, vorausgesetzt, die Autoren selbst verlieren darin nicht den Faden. Hier hatte ich den Eindruck, dass verbale Trommelwirbel mich ständig mit der Nase darauf stoßen sollten, doch bitte außerordentliche Bewunderung für die Leistungen der Hidden Ladies zu zeigen. Was ich schon längst getan hatte ... Zu den Durchhalteparolen der Kriegszeit und zum Kalten Krieg der Nachkriegszeit würde dieses Übermaß an Pathos passen, aber nicht zu einem Text, der im 21. Jahrhundert gelesen und verstanden werden soll. Der zu umständlich formulierte englische Text verliert durch zahlreiche Übersetzungsfehler und eine schwer verständliche Satzstellung weiter an Qualität (Häufig wird das Verb ans Ende eines komplizierten Satzgebildes gesetzt, das mit einer anderen Stellung des Verbs leichter verständlich wäre.) Wenn eine Pfadfinderführerin ihre Mädchen anregen will, ihre Chancen im Leben tatkräftig zu ergreifen, wird daraus, sie wollte „ihnen Erlebnisse schaffen, die ihr Verständnis von den Möglichkeiten ihres Lebens erweiterten“. Das ist umständlich und im Deutschen grammatikalisch falsch. Für (z. B.) energetic, progressive, clever und supersonic gibt es treffende deutsche Ausdrücke, die in einer Übersetzung ins Deutsche auch benutzt werden sollten. Wer spricht heute, abgesehen von der arbeitsrechtlichen Ebene, von seiner Arbeitsstelle als „Beschäftigungsverhältnis“, wer bewirbt sich „beim“ Öffentlichen Dienst statt um/für eine Stelle im Öffentlichen Dienst? Das faszinierende, historisch bedeutende Thema wird leider durch stilistische Mängel und Übersetzungsfehler verschenkt. 2 1/2 Sterne