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Buchdoktor

Posted on 1.1.2021

Circe war die Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide Perse. Wer von Süßwasser-Najaden abstammt, soll laut Überlieferung einen schwierigen Charakter haben. Circe scheint zudem besonders einfühlsam gewesen zu sein und ihre Mitmenschen mit einer Stimme genervt zu haben, die wie die einer Sterblichen klang. Okeanos, Circes Großvater, fand noch, dass Töchter gewinnbringend verheiratet werden könnten. Circes ältere Geschwister waren längst verheiratet und sollten gefälligst vom Ehepartner in Schach gehalten werden. Helios und Perse jedoch hatten von ihrer Kinderschar offenbar genug und keine Geduld mehr für eine Tochter mit scharfem Verstand. So wurde Circe auf die Insel Aiaia verbannt, wo sie sich in kürzester Zeit selbst Kräuterwissen beibrachte und ihre Hexenkräfte perfektionierte. Im Gegensatz zu Sterblichen können Göttinnen das ganz ohne Lehrmeister oder Lehrmeisterin. Im Mittelmeer-Klima und seiner üppig blühenden Vegetation hätte der Aufenthalt auf der Insel idyllische Seiten haben können - wäre Circe nur frei davon gewesen, von ihrer Familie heranzitiert zu werden, ob ihr das gerade passte oder nicht. Immerhin reinigte sich Circes Haus von selbst und auch die Speisekammer füllte sich von selbst auf. Spätestens wenn Schiffe mit ausgehungerten und im Kampf gegen die Naturgewalten lädierten Ruder-Mannschaften anlegten und Circes Aufmerksamkeit forderten, hatte die Idylle jedoch ein Ende. So wie eine Prophezeiung versprochen hat, landet eines Tages Odysseus auf der Insel – und scheint Gefallen daran zu finden. Der weitere Verlauf von Circes Leben ist vielen bekannt. Er ist bisher nur noch nicht mit so feiner Ironie erzählt worden wie von der Altphilologin Madeline Miller. Sie zeichnet in der Ichform das Bild einer Zauberin, die als jüngeres Kind der Geschwisterreihe kaum beachtet wird, sich verspottet und zu wenig anerkannt fühlt. Die Hexenkunst erlebt man in Millers Neuerzählung als schmutzig und anstrengend, völlig anders als eine Göttin es erwartet, die zuvor nur mit dem Finger schnippen musste, um sich einen Wunsch zu erfüllen. Circes Begegnung mit Besuchern auf der Insel und lüsternen Männerblicken schließlich wirft die zeitlose Frage auf, welcher Lebensentwurf für kritische Frauen denkbar sein könnte, die sich zwar gern einen Webstuhl bauen lassen, aber keine weitere Einmischung in ihr Leben wünschen. Dass Circe als Göttin nicht altert, aber das Altern ihrer sterblichen Bezugspersonen ertragen muss, schien mir die Handlung etwas auszubremsen. Auch ohne Vorkenntnisse kann man sich - mit Gewinn - in diese Welt hineindenken, in der Titanen und Olympier auf Sterbliche wie Odysseus oder Medea treffen …

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