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joberlin

Posted on 31.12.2020

Der Historiker und Schriftsteller Dr. Christian Hardinghaus ist bekannt für seine Veröffentlichungen aus dem "Großväterland", das meint die 30er und 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts, einen Schwerpunkt legt er dabei auf Geschehnisse während des 2. Weltkriegs. So bezieht sich seine neueste Veröffentlichung (Nov. 2020, Europa-Verlag) auf die "verratene Generation", eine Generation von Männern und Frauen, die sozusagen unverschuldet in den braunen Abgrund taumelten, später dann bei den Folgegenerationen auf wenig Gehör und schon gar kein Verständnis für ihr wohl überwiegend naiv-ignorantes-ungewolltes Dazutun fanden. Aus meiner Sicht ist ein Buch zu diesem Thema wünschenswert, ja notwendig - natürlich sollte der Recherche eine kritische Betrachtung folgen. Letzteres wollte oder konnte Christian Hardinghaus nicht zufriedenstellend leisten und so findet sich im Buch eine Vielzahl von widersprüchlichen Aussagen. Als argumentativ schwach empfinde ich gleich zu Beginn die Ausführungen zur - als Kriegsverbrechen gewerteten - Bombardierung deutscher Städte und Bevölkerung. Der Autor zeigt damit gleichsam, dass es sich nach dieser Sichtweise keineswegs um eine regimebefreiende Vorgehensweise (wie 2020 zum 75. Jahr des Kriegsendes gefeiert) im Sinne der deutschen Bevölkerung handelte. – Man darf jedoch nicht vergessen, dass ein anderes Ende des schon lange verlorenen Krieges nicht schneller oder gar schonender möglich war, denn es gab – gemäß den Vorgaben des totalen Krieges - eben keine Einsicht, kein Erbarmen und auch kein Waffenstillstands- oder gar Kapitulationsangebot der deutschen Staatsführung. Und ja - ein Aggressor, der zum Zwecke der Land- und Ressourcennahmen ganz bewusst-gewollt einen Krieg beginnt, der muss mit seiner Bevölkerung die Konsequenzen tragen, auch und gerade in Zerstörung von Lagern, Produktionsstätten und Siedlungen, falls das notwendig sein sollte. Christian Hardinghaus benutzt in seiner weiteren Untersuchung Zeitzeugeninterviews, dabei kommen "Vertriebene aus dem Osten, Flüchtlinge, Opfer des alliierten Bombenkrieges" zu Wort, Frauen allesamt – "verführt, verbraucht, verraten und vertrieben". Das interessiert mich und ich bin gespannt. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die berechtigte Frage "was hättet ihr denn getan?" Ja, was hätten wir wohl getan, wir Nachkommenden ---- hätten wir überhaupt etwas getan oder ist der widerspruchlose Gehorsam etwa doch eine ganz deutsche Eigenschaft? Christian Hardinghaus prangert die stereotyphaften Fragen und Weisheiten der Folgegenerationen zu Recht an: Ihr habt doch alles gewusst – warum habt ihr nichts unternommen - ihr habt doch alles erst möglich gemacht. Allerdings decken sich die Aussagen der oral history interviews allzu oft mit eben jenen Klischees. Enttäuschend. Das Argument "wir wussten ja nichts " findet sich in so gut wie jedem Interview. Der Rauch der Bücher, das Klirren der Scheiben, das Plärren der Ansprachen, das Verschwinden der Nachbarn – all das blieb unbemerkt, so stärkte man das Regime sozusagen ungewollt unbewusst. Und so wird klar: Wenn eine Erinnerung schadet, dann ist Vergessen vielleicht nicht der beste, aber doch der zutiefst menschlichste Weg.

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