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Buchdoktor

Posted on 30.12.2020

Als Evan Jones 1903 seine Frau Rebecca nach der Hochzeit in sein Tal in Wales holt, wirkt ihre Fahrt in der Kutsche kurz wie eine Entführung. Das Tal ist von beiden Seiten von hohen Bergen umschlossen, aus der Hintertür der Farm blickt man direkt hinunter. Evans Mutter Catrin muss nun in eigenes Haus ziehen und wirft der Schwiegertochter unterschwellig vor, ihr den Sohn weggenommen zu haben. Evans Schwester Sarah bleibt als Arbeitskraft auf dem Hof, ohne sie hätte Rebecca die Arbeit kaum geschafft. In ihrer Erinnerung sieht die Tochter Rebecca ihre Mutter meist dabei, für eine Truppe von Schafscherern zu kochen und zu backen und das viele Geschirr zu spülen. Nach Rebecca werden drei Brüder geboren, die beiden jüngeren blind. Ein dritter Bruder erblindet kurz bevor er eingeschult werden sollte. Die beiden älteren Gruffyd und William werden mit 3 ½ und 5 Jahren fern von zuhause in eine Vorschule für blinde Kinder gegeben. Gruff studiert später Theologie in Oxford, auch William beendet seine Ausbildung erfolgreich. Dass es schon Anfang des 20. Jahrhunderts Unterricht und Lehrmaterial für Blinde gab, hat sich vermutlich kaum jemand so vorgestellt. Die Kosten trägt die Familie und spart buchstäblich jeden Penny dafür. Die beiden älteren Söhne zahlen für ihre Bildung und Selbstständigkeit den hohen Preis, dass sie die walisische Kultur hinter sich lassen müssen und nur noch in den Ferien in ihr heimatliches Tal zurückkehren. Der erstgeborene Robert gibt seinen Lebenstraum vom Studium auf; denn nur er kann die Farm übernehmen und den Lebensunterhalt der Familie verdienen. William lebt inzwischen wieder mit der Familie und verdient eigenes Geld. Die Erzählerin der Geschichte ist mittlerweile eine ältere Frau, die offenbar nie das Tal ihrer Kindheit verlassen hat und mit dem Wehmut derer zurückblickt, die kein eigenes Leben führten und sich für die Familie opferten. Die exakten Lebensdaten und Schwarzweiß-Familienfotos lassen die Geschichte authentisch wirken wie eine Biografie. Aufgabe des Lesers ist es, die Verknüpfungen zu suchen zwischen einer sehr jungen walisischen Autorin, einer authentischen Familiengeschichte und dem Schicksal der Rebecca Jones, die diese Geschichte erzählt. Eine wunderbare, sehr dichte Erzählung, die ihre verzaubernde Wirkung am besten entfalten kann, wenn man der Versuchung widersteht hinten im Buch zu forschen, wie die Geschichte ausgeht.

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