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mrsrabe

Posted on 28.12.2020

Frankreich zur Zeit der Regentschaft von Louis XIV, dem Sonnenkönig. Das Leben am Hof könnte nicht unterschiedlicher sein zu dem der Bevölkerung. Während der König opulenten Gepflogenheiten nachgeht, gibt es kein Getreide für das Brot seiner Untertanen. In dieser Zeit versucht der Buchbinder Jean Larcher seinem Handwerk gewissenhaft nachzugehen. Er ist fleißig, sparsam und korrekt. Nicht lieblos, aber auch nicht warmherzig. Seine Frau Marianne hat sich mit dem Leben an Jeans Seite zurechtgefunden. Nur dass ihr einziger Sohn Nicolas die Familie verlassen will, um auf Wanderschaft zu gehen, belastet Vater und Mutter gleichermaßen, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Da fügt es sich, dass der junge unstete Paul Dumas als Gehilfe in Jeans Werkstatt eintritt. Er beginnt ein Verhältnis mit der wesentlich älteren Marianne. Eine Schmähschrift, die sich gegen den König richtet und in Paris umläuft, kommt Paul gut zupass, um Marianne von Jean zu trennen. „Verhängnis“ heißt der Roman, den die amerikanische Lyrikerin und Schriftstellerin Janet Lewis schon 1959 schrieb. In der deutschen Übersetzung ist das Werk erst im Jahr 2020 veröffentlicht worden. Janet Lewis widmet sich hier einem historisch belegten Justizfall, der Hinrichtung eines Buchbinders für die vermeintliche Verbreitung einer Schmähschrift gegen den König. „Der Buchbinder Jean Larcher saß mit seiner Frau und seinem Sohn beim Abendessen. Es war Ostersonntag, der in diesem Jahr des Herrn, dem Jahr 1694, und dem einundfünfzigsten Jahr der Herrschaft Louis‘ XIV. auf den elften April fiel.“ Mit diesen ersten Sätzen ist man von Anfang des Romans an zeitlich verankert. Janet Lewis hat nicht nur das höfische Leben in Versailles penibel recherchiert. Auch die Schilderungen der Armut, des Hungers, dem Schmutz und Unrat in den Gassen von Paris am Ende des 17. Jahrhunderts erzeugen ein eindrucksvolles Bild des damaligen Lebens. Die skandalöse Schmähschrift kam da auch nicht von Ungefähr. Heute würde man so etwas vielleicht als politisches Kabarett bezeichnen. Damals war es ein lebensgefährlicher Affront gegen den absoluten Regenten, der von sich behauptet haben soll: „L'état c'est moi!“ Die Autorin konnte sich nur meinem Gefühl nach nicht entscheiden, ob sie ein historisches Porträt eines Regenten mit all seiner Dekadenz – wie die Beschreibung des Levers, der grotesken Morgentoilette (und das ist durchaus auch wörtlich zu verstehen) - schildern wollte, eine Amour fou oder ein Justizdrama. Von allem etwas, von allem zu wenig. „…sie sah ihn glücklich an, während sie eine halbe Stunde lang friedlich in zwei Welten lebte, in der einen Welt mit Paul und in der anderen Welt mit ihrem Mann. Ihr schien, dass es zwischen beiden keine große Reibung gab.“ Ich hätte mir jedenfalls mehr Reibung gewünscht, mehr rechtliches, ethisches, moralisches Dilemma, mehr Tiefe als die hin und wieder kurz aufflammenden Zweifel, die Marianne beschleichen. Die Protagonistin wirkt in ihrem Gesamtbild hölzern und nicht immer glaubhaft. Was in diesem Roman anfangs vielversprechend begonnen hat verliert sich in einer immer langwierigeren werdenden Tragödie.

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