bookish.yvonne
Nele Neuhaus ist bei deutschen Krimi-Fans beliebt und da ich noch nichts von ihr kannte, habe ich mich an den ersten Fall für Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein gewagt - “Eine unbeliebte Frau”. Kurz: mir hat das gar nicht gefallen. Abgesehen davon, dass Neuhaus in diesem Buch generell lange Sätze verwendet, die nur erzählen, anstatt “zu zeigen” (Stichwort: show, dont’t tell), gab es leider viele Stellen, die ziemlich problematisch sind. ⚠️ [TW: Body Shaming, Fatphobia, Folter, häusliche Gewalt, Menschenhandel, Mord, Suizid, Verharmlosung psychischer Krankheiten] Klappentext: Eine Ladung Schrot aus dem eigenen Jagdgewehr beschert dem Frankfurter Oberstaatsanwalt ein schnelles, wenn auch sehr hässliches Ende. Die schöne junge Frau, die tot am Fuß eines Aussichtsturms im Taunus liegt, ist viel zu unversehrt, um an den Folgen eines Sturzes gestorben zu sein. Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine neue Kollegin Pia Kirchhoff sind sich einig: Der erste Todesfall war ein Selbstmord, der zweite jedoch ein Mord. Bald häufen sich sowohl die Motive als auch die Verdächtigen. Doch was hat den Staatsanwalt in den Tod getrieben? Dass sich die Verdächtigen häufen, ist keine Untertreibung. Ich hatte teilweise Probleme zu folgen welche Person nun wer ist, weil es für mich schlichtweg zu viele waren. Auf mich wirkte es so, als hätte Neuhaus zu vieles in einem Krimi unterbringen wollen. Durch die vielen unterschiedlichen Themen wurde es sehr schnell unübersichtlich. Menschenhandel, Eifersucht, Betrug in Beziehungen und bei Aktien. So viele Verzweigungen, dass die Spannung dann verloren ging und ich auch gar keine Lust mehr zum Lesen hatte. Nun zu all den kleineren Dingen, die mich gestört haben: Neuhaus benutzt anstatt Suizid sehr häufig “Freitod” und wenn sie nur ganz kurz diesen Begriff ein Goggle eingegeben hätte, wüsste sie, wie schrecklich dieses Wort ist. Ich hasse dieses Wort. Suizidpraevention.de schreibt: “Ein Suizid ist meist der Endpunkt einer psychischen Krise und großer innerer Not. Dieser psychische Zustand legt kaum die Möglichkeit einer ‘freien Entscheidung’ nahe.” Der Begriff impliziert allerdings, dass es ein gewähltes Verhalten ist und beschönigt den Sachverhalt. Es ist unglaublich, wie sehr das Aussehen der Menschen in diesem Buch verurteilt wird. Ich versteh nicht, wozu die abfälligen Bemerkungen von Bodenstein und Pia über das Aussehen von Frau Jagoda geschrieben wurden. "Walküre" und "grotesk" haben die beiden sie genannt, aber ich habe schon nach "fett" und den Beleidigungen von Herr Jagoda "Fette Henne" und Isabel "Walross" verstanden, dass sie fett ist und wohl absolut widerwärtig. Frau Jagoda spricht offen aus, "Ich bin zwar fett, aber ich bin trotzdem eine Frau. ... Es ist demütigend, aber ich weiß, dass Leute wie Sie über mich lachen und es als pervers empfinden, wenn eine Dicke wie ich sexuelles Verlangen verspürt." Pia fühlt sich dabei nicht ertappt oder so? Nicht peinlich, dass sie die Frau selbst als grotesk bezeichnet hat und mit einem Walross verglich? Eine andere Frau wird unentwegt als “mopsgesichtig” und "stämmig" beschrieben und macht eine erstaunlich graziöse Bewegung, weil so eine Frau sich natürlich wie ein Elefant bewegt. Dann wird allen Frauen unterstellt, dass sie Frauen Isabell aufgrund ihrer Schönheit nicht leiden können. Dass es eventuell an ihrem Charakter liegen könnte, ist wohl zu abwegig. Das Gesicht einer Frau wurde auch als "reizloses Gesicht" beschrieben und ich weiß nicht, was man sich darunter vorstellen soll. Nun zu den Männern, so wurde Hans Peter Jagoda beschrieben: “harmlos, beinahe weibisch", weil er schmaler gebaut ist! Was bin ich da wütend geworden. Weibisch! Döring hätte eine gespaltene Persönlichkeit, weil er aggressiv wird, nachdem er Alkohol getrunken hat. Er hat aber keine dissoziative Identitätsstörung und so leichtfertig sollte man nicht mit Vergleichen von psychischen Krankheiten umgehen. Dann hatte ich mir auch “maskuline Anmut” notiert, aber nicht mehr auf was es bezogen war. Aber dennoch… was ist “maskuline Anmut”? Außerdem gab es so viele Handlungen von Bodenstein, die ich einfach nicht nachvollziehen konnte. Ich meine, ist es normal als Polizist eine Zivilistin einfach so mit zum Tatort zu nehmen und überhaupt diese Info weiterzugeben? Sowieso finde ich Bodenstein sehr arrogant und unsympathisch. Er lernt Thordis, eine junge Frau kennen, und vermutet, dass sie ihn so unglaublich attraktiv findet und als sie das anspricht, ist er peinlich berührt und Angriff ist die beste Verteidigung, ne. Er äfft den Tonfall von Thordis nach und nennt sie “zickiges kleines Mädchen” und behandet sie infantil. Gut, dass sie Konter gibt. Bodenstein fragt sich, wieso er plötzlich empfänglich für fremde weibliche Reize ist und sucht die Schuld bei der Abwesenheit seiner Frau oder bei der Wiederbegegnung mit Inka. Wieso nicht bei sich selbst? Dann ist er kurz davor sich mit Inka einzulassen, denn “Bodenstein will nicht mehr vernünftig sein”... OK, aber dann sollte er vielleicht erstmal mit seiner Frau darüber sprechen. Später erzählt er seiner Frau Cosima bei einem Anruf, dass er nicht mehr viel länger treu sein kann, wenn sie nicht bald nach Hause kommt. So wie Bodenstein das aber erzählt halt, klingt es eher so als würde er einen Witz über Ehebruch machen... Wenn Cosima wüsste wie nah dran er gewesen ist sie zu betrügen. Dann noch etwas, was nichts mit all dem zu tun hat, aber mich hat es sehr verwundert, dass er wusste, wo ein bestimmte Bibelvers in der Bibel steht. Am Ende weitere Fragen an das Buch, weil ich so vieles nicht nachvollziehen kann: Die Polizei observiert Haus, aber bekommt nicht mit, wie da etwas über den Rasen geschleppt wird? Wieso wird die Polizei so inkompetent dargestellt? Wieso bleiben Menschen in Beziehungen, wenn sie ihre Partner*in nicht ausstehen können? Was für eine faule Zusammenfassung von Dingen war das auf S. 438? Wie kann das Kind kein Trauma haben? Wie kann Bodenstein über Selbstjustiz hinwegsehen? Was zum Teufel vermittelt das der Leserschaft.