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Buchdoktor

Posted on 23.12.2020

Ein Staat, zu dessen Wortschatz der Begriff Republikflucht gehört, ist uns Deutschen so vertraut wie die Propaganda von Diktaturen gegen einen vermeintlichen Agressor, mit der von diversen Defiziten in der Versorgung der Bürger abgelenkt werden soll. Pak Jun Do ist im nordkoreanischen Waisenhaus "Frohe Zukunft" aufgewachsen, weil sein Vater dort als Aufseher arbeitete. Der Staat Korea macht in diesem Roman seine Kinder zuerst zu Waisen, indem er ihre Eltern sich in Arbeitslagern zu Tode schuften läßt und "adoptiert" anschließend die elternlosen Kinder, um sie wiederum im Bergbau schuften zu lassen oder sie mit 14 Jahren in spezielle Waisen-Kompanien der Armee zu stecken. Jun Do, einziger Bewohner der "Frohen Zukunft" mit zumindest einem lebenden Elternteil, überlebt zu seinem Glück die Ausbildung in der Armee, kann einen Englischkurs belegen und wird schließlich als Funker auf einem Fischkutter zur Spionage im Gebiet zwischen Nordkorea und Japan eingesetzt. Durch einen sonderbaren Auftrag für den "geliebten Führer" an der japanischen Küste kann Jun Do zum ersten Mal Nordkorea verlassen. Eine Flucht nach Japan ist undenkbar; denn der Staat behält die Angehörigen der Besatzung als Pfand zurück. "Witwen" Geflüchteter werden zwangsweise neu verheiratet. Der Junge hat sein Leben bisher in einem Schlafsaal mit einhundert Kindern verbracht. Mangel an allem ist für Jun Do Normalität. Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte in Nordkoreas Hauptstadt Ausgangssperre, zum Stromsparen wurden alle Lampen ausgeschaltet. Das verschwenderisch erleuchtete Japan wirkt auf Jun Do reichlich sonderbar, er beginnt zu ahnen, von wie vielen Dingen er bisher keine Ahnung hatte. Der Mensch ist im System des geschilderten Nordkorea unbedeutend, beliebig austauschbar, entscheidend ist die Geschichte, die das System ihm überstülpt oder die er für sich erfindet. Die Erzählungen seines Kapitäns, der vier Jahre als Gefangener auf einem Fabrikschiff verbrachte, warnen Jun Do davor, jederzeit für die Wahrheit ins Gefängnis kommen zu können. Mehrfach gelingt es Jun Do, seinen Kopf durch seine blühende Phantasie zu retten, wie ein asiatischer Münchhausen, der sich selbst aus dem Sumpf zieht. Der Staat schreibt seinen Bürgern vor, was sie zu denken und zu fühlen haben, und verkündet diese Weisheiten regelmäßig per Lautsprecher. Jun Do ist es so gewohnt und würde sich ohne diesen Rahmen nicht wohlfühlen. Dennoch fühlt er sich von Menschen und Ereignissen außerhalb seines staatlich organisierten Gefängnisses angezogen. Adam Johnson beschreibt den Kulturschock des Jungen, der nie zuvor auch nur einen Film gesehen hat, in sehr liebenwerter Weise, ohne Jun Do und seine Kultur damit bloßzustellen. Der zweite Teil des Buches, der mich weniger angesprochen hat als Jun Dos Jugend-Erlebnisse, befasst sich mit dem Lagerkommandanten Ga, dessen Identität mitsamt seiner realen Familie sich Jun Do vermutlich übergestreift hat. Fazit Mit seinem ausgerechnet in Nordkorea angesiedelten abenteuerlichen Roman hat Adam Johnson das Setting kühn gewählt. Wie ähnlich Diktaturen nach außen und innen agieren wird bei manchem Leser für eine Gänsehaut sorgen. Johnson hat sich meinen Respekt mit seiner humorvollen wie phantasievollen Annäherung an ein Land verdient, das normalen Reisenden verschlossenen ist. Leser des umfangreichen Buches sollten mit heiteren Szenen, sowie unvorstellbarer Not und menschenverachtenden Handlungen rechnen.

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