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Buchdoktor

Posted on 23.12.2020

In Fetherhoughton, einem fiktiven gottverlassenen Nest hat Vater Angwin sich als Priester häuslich eingerichtet. Sein Leben könnte so idyllisch sein, hätte nicht der Bischof sich in den Kopf gesetzt, die Messe zukünftig in Englisch lesen zu lassen und den Aberglauben mit Stumpf und Stiel auszurotten. Angwin fühlt sich entthront und schiebt als Ausrede seine Gemeindemitglieder vor, denen er nicht zutraut, ohne ihre Heiligenfiguren weiter leben zu können. Für den Bischof sind die Figuren schlicht Götzenanbetung, Rüschen und Tand wären Firlefanz und die Gemeinde müsse sich endlich modernen Zeiten anpassen. Die Einwohner von Fetherhoughton sind keine Bauern, sondern Weber. Sie leben in Arbeiterhäusern aus Naturstein, ganz auf der Höhe der 50er Jahre mit Kohlenschuppen und Außenklo, das man sich mit dem Nachbarhaus teilt. Die Menschen hassen die Natur und beharren darauf, lieber nicht über das Moor zu sprechen, so etwas tun sowieso nur Fremde. Als ein Mr Fludd auftaucht, könnte der der neue Vikar sein, ein Betrüger oder schlicht ein ausgekochtes Schlitzohr. Für die Pfarrhaushälterin Miss Agnes Dempsey ist Fludd mit Sicherheit eine Herausforderung, als er mitten in der Woche warmes Wasser zum Baden begehrt. Unter Dempseys Fuchtel möchte ich nicht leben müssen, ihre Routine ist zwanghaft. Man muss ihren Kakao trinken und sie muss abends noch Geschirr spülen, sonst würde Agnes vermutlich vom Teufel geholt. Fludd scheint ein direkter und lebenskluger Mann zu sein, nur was tut jemand in Fetherhoughton, der anderen aus der Hand lesen kann? Ein groteskes Szenario entfaltet sich zwischen Angwin, Fludd und der kämpferischen Direktorin der Klosterschule, Mutter Perpetua. Hilary Mantel, deren Kurzgeschichten sich durch bissige Ironie auszeichnen, hält sich hier zunächst zurück und zeichnet ein liebevolles, ungeheuer stimmungsvolles Bild der 50er Jahre. Wenn sie nicht selbst in einem Abschnitt der langen Kette britischer Arbeiterhäuser gelebt hat, hat sie zumindest genauestens recherchiert. Ihre Milieuschilderung wirkt wie ein Blick in ein Puppenhaus oder auf eine maßstabsgetreue Modellbahnanlage. Wer eine kräftige Prise Ironie verträgt und das Schmunzeln nicht verlernt hat, wird mit dem Buch seinen Spaß haben.

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